Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)
Biester sich näherte, wurde Oksa übel … und die Invisibellen krampften sich zusammen und erdrückten sie fast vor lauter Widerwillen.
»Ihr werdet mich noch ersticken«, maulte sie.
Der Plemplem pustete mit aller Kraft und wedelte wild mit den Armen, um die Raupen zu verscheuchen. Vergeblich. Oksa kam nur mühsam voran, doch immerhin verlor sie Abakum nicht aus den Augen. Oder vielmehr den hellen Schatten, der ihr den Weg wies.
»Geh nicht durch die Männer hindurch!«, warnte er sie. »Du hast zwar keine physische Gestalt, doch sie sind so erfahren, dass sie deine Anwesenheit spüren könnten.«
Den Soldaten aus dem Weg zu gehen, war nicht so schwierig, den Hellhörigen dafür umso mehr. Oksa litt Höllenqualen: Hunderte von Raupen flogen buchstäblich durch sie hindurch! Die Invisibellen erlebten die schlimmsten Augenblicke ihres ganzen Lebens als magische Kaulquappen, und Oksa konnte nichts dagegen tun. Sie war kurz davor, die Nerven zu verlieren, und scherte sich schließlich um nichts mehr: Wild schreiend und mit den Armen wedelnd, rannte sie nur noch los wie eine Irre.
Nachdem sie den Belagerungsgürtel der Soldaten und den Streifen toter Vegetation überwunden hatten, dauerte es eine Weile, bis Oksa begriff, dass sie das Schlimmste hinter sich hatten. Endlich ließen die Invisibellen wieder locker, und sie konnte aufatmen. Oksa setzte den Plemplem auf dem Boden ab. Gleich darauf spürte sie, wie die Patschhand ihres kleinen Haus- und Hofmeisters nach der ihren griff, und wurde von einer Welle der Zuneigung erfasst.
»Der Sieg erfreut sich der Ganzheit, meine Junge Huldvolle, und der Geist Eurer Dienerschaft ist mit Erleichterung gespickt.«
Oksa lachte leise, und Abakum stimmte in ihr Lachen ein.
»Wir sind bereit, Abakum, geh voran!«, verkündete Oksa stolz.
Der Schatten bog in einen breiten Weg ein, der von Phosphorillen gesäumt war. Die Kraken mit den leuchtenden Tentakeln erhellten die riesigen Baumstämme und verbreiteten so eine wunderschöne, wenn auch etwas unheimliche Atmosphäre. Wendeltreppen, die sich wie riesige Schnecken um die Bäume wanden, führten hinauf. Gebannt hob Oksa den Blick. In einigen Metern Höhe waren die ersten Plattformen zu sehen, die in den Verzweigungen mehrerer dicker Äste verankert waren. Auf diesen standen die Häuser der Silvabulaner.
»Sagenhaft!«, flüsterte Oksa.
So gingen sie eine Weile durch den Wald, wobei ihnen gelegentlich Grüppchen von vier oder fünf Soldaten begegneten. Rechts und links des Weges raschelten die Pflanzen mit ihren gezackten Blättern, und Oksa nahm natürlich an, dass es am Luftzug lag. Doch das Rascheln hatte einen ganz anderen Grund.
»Die Pflanzen betreiben die Äußerung der Begrüßung, gespickt mit Wertschätzung für meine Junge Huldvolle«, erklärte der Plemplem.
Oksa blieb abrupt stehen.
»Soll das heißen, dass die Pflanzen mich sehen können?«
Das Wackelkrakeel und der Plemplem lachten fröhlich.
»Meine Junge Huldvolle betätigt den Ausdruck drolliger Wörter. Die Pflanzen haben nicht die Fähigkeit der Sicht, doch sie verfügen über die außersinnliche Hellsichtigkeit!«
Oksa lächelte. »Äh, natürlich, das habe ich doch gemeint …«
Sie konnte sich an dem stillen nächtlichen Wald, in den sie immer tiefer eindrangen, nicht sattsehen. Und wahrscheinlich war dieser wunderbare Ort am helllichten Tag noch schöner. »Wenn ich mir überlege, dass ich vor Kurzem noch ein ganz normales Leben geführt habe, zur Schule gegangen und in den Straßen von London Inlineskates gefahren bin …«, dachte sie und schüttelte verwirrt den Kopf. »Und jetzt laufe ich hier, von magischen Kaulquappen bedeckt, durch einen ganz außergewöhnlichen Wald, in dem Pflanzen wachsen, die mich begrüßen. Das ist der absolute Wahnsinn!«
Bald ragte ein Baum, der noch größer war als alle anderen, genau vor ihnen in die Höhe. Auf den ersten Blick schien sein Stamm einen Durchmesser von mindestens fünfzig Metern zu haben.
»Wir sind da«, verkündete Abakum.
Er führte Oksa und ihre kleinen Begleiter zum Fuß des Baums, und die Junge Huldvolle hatte das Gefühl, vor einem rindenbedeckten Wolkenkratzer zu stehen. Der Schattenmann sah sich sorgsam um, ehe er wieder menschliche Gestalt annahm. Trotz des schwachen Lichts konnte Oksa erkennen, dass sein Gesicht ganz eingefallen war, und ihr schnürte sich das Herz zusammen. Abakum spürte ihren sorgenvollen Blick und wandte den Kopf ab. Dann zog er einen leuchtend grünen
Weitere Kostenlose Bücher