Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)
kürzlich von ihrem Ausflug nach Da-Draußen erzählt hatte, hatte sie eine winzige Regung in ihren haselnussbraunen Augen bemerkt, aber sie war sich trotzdem nicht sicher, ob ihre Freundin in Gus verliebt gewesen war.
»Tanzt du nicht mehr?«
Oksa zuckte zusammen. Zoé stand neben ihr und beobachtete sie. Obwohl ihr Gesicht von all dem, was sie in letzter Zeit durchgemacht hatte, gezeichnet war, sah sie immer noch sehr hübsch aus.
»Deine Frisur ist toll«, bemerkte Oksa. »Du siehst aus wie Prinzessin Leia aus Star Wars !«
»Danke«, erwiderte Zoé amüsiert.
Sie blieben eine Weile beisammenstehen, beobachteten die Tänzer und ließen sich darüber aus, wie der eine oder andere gekleidet war, als Oksa endlich Tugduals dunkle Gestalt in der Menge erblickte.
»Entschuldigung, Zoé, ich komme gleich wieder.«
Wie üblich war Zoé nichts entgangen, und ihr Blick verhärtete sich. Oksa bemerkte es, doch wie ein Fisch, der einem aus den Händen schlüpft, hatte ihre Freundin sich bereits abgewandt und war zwischen den Tänzern verschwunden. Verärgert stellte sich Oksa auf die Zehenspitzen, um einen besseren Überblick zu haben, und versuchte erneut, Tugdual aufzuspüren. Weil es ihr einfach nicht gelang, entschied sie sich schließlich fürs Vertikalieren und hob etwa zwanzig Zentimeter vom Boden ab. Das war eine gute Idee: Tugdual ging gerade auf den Ausgang zu. Sie ließ sich wieder auf den Boden hinab und schlug dieselbe Richtung ein wie er.
Draußen dämmerte es, der Dunkel-See und die Berge von Steilfels in der Ferne waren bereits pechschwarz. Ein letzter Sonnenstrahl brach wie ein goldenes Schwert durch die dicke Wolkenschicht. Instinktiv suchte Oksa die Ägide mit den Augen ab. Die Nachtschwadronen, die mit Phosphorillen ausgestattet waren, hatten die Tagbrigaden abgelöst. Trotz der hereinbrechenden Dämmerung waren jenseits des Schutzschilds immer noch kleine Grüppchen von Treubrüchigen zu sehen, die wie unheilvolle Raketen durch die Luft schossen. Oksa schauderte. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie entdeckte endlich Tugdual, der auf ein Majestikwäldchen zumarschierte. Die Dunkelheit war für ihn kein Hindernis, er bewegte sich genauso sicher wie am helllichten Tag. Neugierig folgte ihm Oksa.
Egal wie sehr sie die Augen zusammenkniff, sie konnte nicht besonders viel erkennen. Die riesigen Schatten der Bäume tauchten die ganze Umgebung in tiefes Dunkel. Dennoch machte sie schließlich mit großer Anstrengung zwei Silhouetten aus: die von Tugdual und eine andere, vermutlich ebenfalls männliche Gestalt.
Sie schlich leise näher, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht etwa auf einen Zweig oder gegen einen Stein zu treten. Mit dem schwindenden Licht kam auch die Kälte. Oksa wickelte sich fester in ihren Umhang. Tugdual und die andere Person unterhielten sich leise. Ihr Flüstern verlor sich im Rauschen des Wassers und in der leisen Brise, die durch die Bäume strich. Dennoch war offensichtlich, dass das Gespräch nicht sehr freundschaftlich verlief, wie die aggressiven Gesten der beiden verrieten.
Plötzlich flog eine Nachtschwadron tief über die Bäume hinweg, und im Licht der Phosphorillen erkannte Oksa Tugduals Gegenüber. Der Anblick traf sie vollkommen unerwartet, und sie ließ sich erschüttert gegen einen Baum sinken. In der Stille formten ihre Lippen den Namen desjenigen, den sie erkannt hatte.
Mortimer.
Mortimer McGraw.
Der Sohn ihres Erzfeindes.
Und er sprach mit Tugdual. Sie riss sich mit aller Macht zusammen. Sie musste diesen Schwindel vertreiben, der sie bei seinem Anblick erfasst hatte, sie musste herausbekommen, was das zu bedeuten hatte. Als Erstes musste sie herausfinden, wie es Mortimer gelungen war, in Die-Goldene-Mitte zu kommen. Und was hatte er hier zu suchen? Warum sprach er mit Tugdual und nicht mit Zoé, der er so nahestand? Viel zu viele Fragen und keine einzige Antwort … Oksa war so aufgeregt, dass sie kurz davor war, zu explodieren. Ihr Ringelpupo pulsierte ohne Unterlass an ihrem Handgelenk, und allmählich verlangsamte sich ihr Herzschlag wieder.
Nach zwanzig Minuten, die ihr wie Stunden erschienen, kam die Schwadron erneut vorbei, und wiederum fiel Licht auf die beiden Jungen. Oksa hatte gerade genug Zeit, um zu erkennen, dass die Dinge sich entwickelt haben mussten. Jede Spur von Feindseligkeit zwischen den beiden schien verschwunden zu sein, doch was sie nun sah, beruhigte sie keineswegs: Tugdual saß an einen Baum gelehnt,
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