Oktoberfest
bereit, meine Pflicht zu tun. Aber wäre es nicht angemessener, wenn der Innenminister nach München fährt? Ich meine, das wäre auch für die Beamten des Grenzschutzes ein stärkeres Signal.«
Der Regierungschef sah in die Runde.
Der Bundesinnenminister ergriff das Wort. »Der Finanzminister hat recht. Er kann zwar die Übergabe leiten. Doch als Repräsentanten brauchen wir jemanden anderes. Ich akzeptiere Ihre Bedenken, Herr Bundeskanzler. Aber ich befürchte, es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass ich den Finanzminister begleite.«
Das Telefon des Bundeskanzlers klingelte. Die Leitung seiner Sekretärin. »Was gibt es?«, fragte er unwillig in den Hörer. »Der Bundespräsident? Jetzt? Stellen Sie durch!« Die Sekretärin entgegnete etwas. Die Züge des Regierungschefs zeigten Verblüffung. »Hier?«, fragte er. »Persönlich?«
In diesem Moment ging die Tür des Sitzungssaals auf.
Das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland betrat mit ernster Miene den Raum. »Herr Bundeskanzler, meine Herren«, begann er. »Mein Entschluss steht unwiderruflich fest. Ich werde mich über die Medien als Geisel anbieten. Im Austausch für die Insassen eines Zeltes. Dieser Staat muss seine bedingungslose Verbundenheit mit den Geiseln demonstrieren. Versuchen Sie nicht, mich umzustimmen.«
*
Wo blieb Klarow nur? Urs Röhli spürte, wie sein Herzschlag schneller wurde.
»He, Männlein! Hast du was an den Ohren? Soll ich dir die Ohren mal mit Wodka durchspülen? Dann verstehst du mich bestimmt besser!«, sagte die angriffslustige Stimme hinter ihm.
Er hörte, dass links und rechts hinter ihm zwei andere Männer glucksten. Es waren also drei.
Hilfesuchend sah er zum Barmann. Aber der schien nichts gehört zu haben und unterhielt sich mit einem der anderen Gäste. Die beiden spielten ein Würfelspiel. Gerade drosch der Barmann den Lederbecher auf die Theke.
Langsam drehte sich der Schweizer Wissenschaftler auf dem Barhocker herum. Vor ihm stand ein Schrank von einem Bootsmann, flankiert von zwei kräftigen Matrosen. Drei Augenpaare glitzerten ihn streitsüchtig an. Alle Wege waren ihm abgeschnitten. Es gab keine Möglichkeit zur Flucht.
Die Gesichtszüge von Dr. Urs Röhli spiegelten Panik wider.
Warum kam Klarow nicht? Was war hier los? Der Milizoberst hätte die Sache sofort bereinigt. Allein der Anblick seiner Uniform hätte die drei Kerle lammfromm werden lassen.
»Ihr drei könnt euch gerne was bestellen. Ich lade euch ein.«
»Du bist aber wirklich freundlich, Männlein!« Der Schrank in der Mitte brüllte eine Bestellung durch den Raum. Der Barmann stellte augenblicklich drei Gläser auf den Tresen, die er reichlich füllte.
»Du hast schon Freunde gefunden, wie ich sehe«, raunzte er Dr. Röhli zu und zeigte ein weiteres Mal mit einem hämischen Grinsen seine schadhaften Zähne. Dann drehte er sich um und kehrte zu seinem Würfelspiel zurück.
Die drei Männer nahmen ihre Gläser und prosteten sich zu. Sie sahen den Schweizer Wissenschaftler grinsend an. »Na los!«, sagte der rechte.
Dr. Urs Röhli nahm sein Glas. Seine Hand zitterte leicht.
»Nasdrowje«, sagte er mit unsicherer Stimme. Er setzte das Glas an und zwang sich, einen Schluck von dem Lösungsmittel zu trinken. Ein Brennen floss seine Kehle hinab. Sein Magen verkrampfte sich in einer spontanen Abwehrreaktion. Gerade noch konnte er verhindern, dass er den Schnaps sofort wieder ausspuckte.
Was für ein fürchterliches Zeug!
»He, Männlein! Magst du unseren Wodka nicht? Bist wohl was Besseres? Wolltest dir mal ein bisschen Elend anschauen und dir daraus einen Spaß machen, was? Aber wir drehen den Spieß um, Männlein! Wir schauen uns dein Elend an und machen uns einen Spaß daraus!«
Der Mann in der Mitte lachte schallend. Seine beiden Kumpane stimmten ein.
»Nein, ich wollte mich hier mit einem Freund treffen …«
»Hier gibt’s keine Tunten, Männlein!«, sagte der linke Matrose.
»Du hast hier keine Freunde, Männlein!« Wieder lachte der Mann in der Mitte. »Außer, du kannst sie bezahlen. Wie viel Geld hast du denn dabei, Männlein? Wie viel fällt dir wohl aus den Taschen, wenn ich dich kopfüber ein bisschen schüttele?«
Der Mann links von dem Wortführer zeigte auf den Aktenkoffer. »Und wie viel finden wir wohl, wenn wir deinen Koffer aufmachen, Männlein?«
Der Bootsmann kam einen Schritt auf ihn zu.
Das war der Moment, in dem Dr. Urs Röhli keinen anderen Ausweg mehr sah, als Wolfgang Härter um Hilfe zu bitten.
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