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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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deutschen Fahne in der Hand über die Ziellinie schoss und erschöpft zusammenbrach. Wie er mit Tränen in den Augen, die Goldmedaille um den Hals, die rechte Hand auf dem Herzen, die Nationalhymne bei der Siegerehrung mitsang. Einigkeit und Recht und Freiheit …
    Die O-Töne, die von Reportern auf Münchens Straßen gesammelt wurden, zeigten, dass die Menschen Vertrauen zu Moisadl fassten. »Wenn einer das in den Griff bekommt, dann der«, hatte ein dreißigjähriger Softwareingenieur in die Kamera gesagt. Auch diese Aufnahme wurde wiederholt und in mehrere Sprachen übersetzt.
    Ein Kollege aus Berlin war in der Münchner Redaktion eingetroffen. Ein Fachmann. Der Journalist berichtete über alles, was mit der Bundeswehr zusammenhing. Er hatte beste Kontakte ins Verteidigungsministerium und kannte sich mit der Thematik sehr gut aus. Der Mann hatte die Berichterstattung übernommen.
    Heute Abend konnte sie sich etwas Ruhe gönnen. Aber Entspannung wollte sich nicht einstellen. Zu sehr beschäftigten sie ihre Gedanken an Werner. Nicht zu wissen, ob er wohlauf war, war das Schlimmste.
    Amelie seufzte.
    Sie sah aus dem Fenster in den niedrigen Himmel, der sich dunkel und bedrohlich über München erstreckte. Schon auf dem Weg in ihre Wohnung war ihr die merkwürdig ruhige Stimmung in der Stadt aufgefallen. Ganz anders als die Aufgeregtheit der letzten Tage.
    Bleiern schob sich die Angst durch die Straßen der Isarmetropole und kroch durch die Ritzen der Türen und Fenster bis in jedes Zimmer.
    Als an diesem Abend die Dunkelheit über München hereinbrach, verfiel die ganze Stadt in eine Art Schreckstarre. Keine der um diese Jahreszeit sonst zahlreichen Nachtschwärmer bevölkerten die Straßen. Keine Musik drang aus den Wirtshäusern nach draußen. In den Straßen herrschte kaum Verkehr. Nur ab und an dröhnte das Brummen der schweren Dieselmotoren militärischer Fahrzeuge bis in ihre Wohnung. Einmal hatte sie sogar das Rasseln von Panzerketten gehört.
    Aber die Maßnahmen zeitigten Wirkung. Die Sicherheitslage im Stadtgebiet verbesserte sich. Es gab über die Nachrichtenagenturen keine Berichte mehr über Sachbeschädigungen, Diebstähle oder Körperverletzungen.
    Sie wandte ihren Kopf wieder dem Bildschirm zu. Ihr Atem stockte. Ein rotes Laufband am unteren Bildschirmrand verhieß »BREAKING NEWS«. Der Vertreter der Bundesregierung, Staatssekretär Dr. Roland Frühe, sei während Verhandlungen auf der Theresienwiese von den Geiselnehmern erschossen worden, verkündete die Laufschrift.
    An Ruhe war wohl doch nicht zu denken. Sie griff zum Telefon, um in der Redaktion anzurufen. Auch die dritte Nacht der Geiselnahme hatte wieder Opfer gefordert.
    Wie viele sollten es noch werden? Und würde am Ende auch Werner unter den Opfern sein?
    *
    Kaliningrad, 22:08 Uhr Ortszeit
    Gennadij Soupkov hatte einen schlechten Tag. Es war nicht der erste schlechte Tag in seinem Leben. Und es würde auch nicht der letzte sein.
    Seit seine schwere Verwundung aus dem Tschetschenien-Krieg verheilt war, fuhr er Taxi in Kaliningrad.
    Verheilt, dachte er bitter, von wegen.
    Er hatte die Verwundung zwar überlebt, aber die Granatsplitter, die ihm den Unterleib aufgerissen hatten, hatten zwischen seinen Beinen nichts übrig gelassen. Einen Orden hatte er dafür bekommen.
    Als er nach Kaliningrad zurückgekehrt war, war seine Ehe vor die Hunde gegangen. Er war zwar nicht geschieden. Das brachte seine Frau wohl nicht übers Herz. Aber sie hatte zu trinken begonnen. Und wenn ihr das Geld für den Fusel ausging, ließ sie sich mit jedem Mann ein, der ihr ein paar Rubel für die nächste Flasche gab.
    »Dir kann es doch egal sein«, sagte sie immer, wenn er sie darauf ansprach.
    Seine Tochter, die zuvor erfolgreich europäische Sprachen studiert hatte, betätigte sich nun auf demselben Gebiet wie ihre Mutter. Allerdings verdiente sie sehr viel mehr, da sie jünger war. Und schlanker. Sie war aus der kleinen Wohnung ausgezogen und lebte in einem großen Appartement in der Innenstadt in Saus und Braus. Von ihrem vielen Geld fielen für Gennadij Soupkov und seine Frau bestenfalls ein paar Almosen ab. Es war demütigend. Unerträglich.
    »Soll ich es wie du machen? Meinem Land dienen und als Krüppel in Armut verrecken?«, fragte sie ihn immer, wenn er sie darauf ansprach.
    Er sah aus seinem Wagen zum Haupteingang des Militärarchivs. Die Zentrale hatte ihn über Funk hierhergeschickt. Als die Tür aufging und sein Fahrgast, einen Aktenkoffer in der

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