Oktoberfest
das stark alkoholisch roch. Härter reinigte sich sorgfältig die Hände und das Gesicht.
Das Mittel, mit dem das Tuch getränkt war, war eine Entwicklung der amerikanischen Kollegen. Es hatte die Eigenschaft, Blut zuverlässig von der Haut zu entfernen. Das Mittel brannte an seinen Händen und Wangen. Nachdem er den Vorgang ein weiteres Mal wiederholt hatte, warf er die beiden Tücher in einen Abfluss der Kanalisation.
Wie sehr er es hasste, wenn er eine seiner Tarnungen fallenlassen musste. Und dann auch noch auf so spektakuläre Weise. Er war immer darauf bedacht, unnötige Brutalität und das mit ihr verbundene Aufsehen zu vermeiden. Aber in diesem Fall war es nicht anders gegangen. Die Situation hatte ihn gezwungen, sich demonstrativ Respekt zu verschaffen. Hätte er die drei Angreifer ohne sichtbare Verletzungen kampfunfähig gemacht, wäre möglicherweise das ganze Lokal über ihn hergefallen.
Härter schüttelte ärgerlich den Kopf.
Ausgerechnet bei Urs Röhli. Dr. Urs Röhli war eines seiner Meisterwerke. Eine »lebende Legende«, wie man so etwas in Geheimdienstkreisen nannte. Über Jahre aufgebaut.
Dr. Urs Röhli hatte ein Büro und eine Sekretärin. Seine Zürcher Privatadresse war ebenfalls bekannt. Seine Schweizer Herkunft war lückenlos dokumentiert. Seine Stelle an dem tatsächlich existierenden und tatsächlich sehr renommierten »Zürcher Institut für militärische Zeitgeschichte und strategische Studien« wurde über eine Stiftung in Liechtenstein finanziert.
Da Härter in Geschichte promoviert hatte, war es ihm möglich, unter Historikern als Historiker aufzutreten. Er hielt als Urs Röhli Vorträge auf Fachkongressen. Es gab sicherlich mehr als einhundert hochreputierte Militärhistoriker und Konfliktforscher auf der Welt, die jeden Eid geschworen hätten, dass es sich bei Wolfgang Härter um ihren geschätzten Kollegen Dr. Urs Röhli handelte.
Die entsprechende Maskerade vorausgesetzt.
Die Abteilung A&Ω beschäftigte einen eigenen Historiker, der unter dem Namen Urs Röhli Fachaufsätze publizierte.
Kurzum: Im akademischen Sinne existierte Dr. Urs Röhli.
Urs Röhli war nicht die einzige »lebende Legende«, die er aufgebaut hatte, jedoch eine seiner besten. Ein bisschen stolz war der Kapitän auf Urs Röhli schon.
Er spürte, dass die Wirkung des Adrenalins langsam nachließ.
Jetzt musste er sich aus dem Staub machen. Zurück nach Kaliningrad. Herausfinden, was da schiefgelaufen war. Was war mit Klarow?
Er sah sich um.
Was er jetzt brauchte, war ein Taxi.
14
Wien, Februar 2004
D as Restaurant des Hotels »Imperial« war, wie das ganze Haus, von luxuriöser Pracht. Die Wände waren mit dunklen Edelhölzern verkleidet. Kunstvolle Kassettenmuster verliehen dem Raum Struktur. Dreiarmige Leuchter an den Wänden warfen ein warmes Licht auf die Tische. Tiefe Teppiche verschluckten jeden Schritt.
Aus einem ovalen Goldrahmen blickte Kaiser Franz Josef in Öl mit gestrenger Miene auf die Szenerie herab.
Der Gast namens Siedlazek lehnte sich in das weiche Polster des prunkvollen Sessels zurück und seufzte zufrieden. Der Küchenchef hielt einmal mehr, was sein Ruf versprach. Und auch der Weinkeller hatte wahre Kostbarkeiten bereitgehalten. Sein Blick wanderte zu seinem alten Freund, der ihm gegenübersaß.
Der Mann war noch mit dem dritten Gang beschäftigt. Als Nächstes würde ein Zwischengang serviert: ein Fruchtsorbet, um die Geschmacksnerven anzuregen.
Gedämpftes Murmeln der anderen Gäste war zu hören. Der Gast namens Siedlazek hatte um einen abgelegenen Tisch gebeten. Seinem Wunsch war entsprochen worden. Ein Kellner schenkte ihnen noch einmal Wein nach.
»Sind die Herren zufrieden?«, fragte er.
»Oh, ja. Ganz ausgezeichnet. Vielen Dank«, antwortete der Gast namens Siedlazek.
Sein alter Freund hob nur kurz den Kopf und nickte dem Kellner kauend zu. Dann schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder den Variationen vom heimischen Wild, die er gerade verspeiste. Reh. Hirsch. Fasan.
Nachdem er einen weiteren Bissen nach genüsslichem Kauen heruntergeschluckt hatte, sah er Viktor Slacek an.
»Das Essen ist unglaublich«, sagte er auf Russisch und tupfte sich mit seiner Serviette den Mund ab. »Bereits als du in meine Abteilung zur Ausbildung abkommandiert worden bist, war mir klar, dass das karge Leben beim Militär auf Dauer nichts für dich sein würde.« Er hob sein Glas. »Du hast es schon immer verstanden, zu leben. Aber langsam erreichst du in dieser Disziplin eine
Weitere Kostenlose Bücher