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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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Hand, mit etwas unsicheren Schritten die Treppen herabstieg, freute sich Soupkov.
    Die kleinen Freuden, die ihm geblieben waren.
    Die Kleidung des Mannes war zwar altmodisch und etwas abgenutzt, aber der Mann kam aus dem Westen. Kein Russe trägt einen solchen Aktenkoffer. Zumindest keiner, der mit dem Taxi fährt. So etwas erkannte Gennadij Soupkov sofort. Ein Fahrgast aus dem Westen bezahlte gut. Und er hatte vermutlich Devisen dabei.
    Dollar.
    Euro.
    Schweizer Franken.
    Er lehnte sich hinüber und öffnete die Beifahrertür. »Guten Abend! Gepäck in Kofferraum?«, fragte er in holprigem Englisch.
    »Nein danke, das geht so«, antwortete sein Fahrgast in einem merkwürdig schleppenden Russisch.
    Der Fahrgast stellte den Koffer in den Fußraum und ließ sich dann seufzend auf den Beifahrersitz nieder. Schwerfällig zog er seine Beine nach. »Arthritis«, sagte er entschuldigend. Aber mit der Mitleidstour war er bei Gennadij Soupkov an der falschen Adresse. Soupkov brauchte sein ganzes Mitleid für sich selbst.
    Sein Passagier schloss die Tür.
    »Wo kann ich Sie hinbringen?«, fragte Soupkov ihn höflich.
    »In ein Lokal mit Namen ›Oleg‹. Ich weiß aber nicht, wo das ist. Kennen Sie das?«
    Gennadij Soupkovs Freude wuchs. Ein Fahrgast aus dem Westen, der nicht wusste, wo sein Ziel lag. Was für ein Glück. Soupkov kannte zwei Lokale, die »Oleg« hießen. Eines lag in der Nähe. In der Innenstadt von Kaliningrad. So, wie sein Fahrgast aussah, meinte er vermutlich dieses Lokal. Doch das wäre nur eine kurze Fahrt. Kein Geld.
    Das andere Lokal lag viel weiter entfernt. Nicht direkt in Kaliningrad, sondern in Baltijsk. Die Stadt Baltijsk und der Marinehafen waren Sperrgebiet für Ausländer. Aber er würde den Mann schon an den Kontrollen vorbeischleusen können. Einfache Übung, schon oft gemacht. Ich kenne den Mann, würde er sagen. Ich werde mich in konvertierbarer Währung erkenntlich zeigen. Hatte bislang jedes Mal geklappt.
    Das würde eine schöne lange Fahrt werden.
    »Ja, das ›Oleg‹ kenne ich«, sagte Soupkov und startete den Motor. »Bitte schnallen Sie sich an«, sagte er noch, bevor er Gas gab.
    *
    »Die Unruhe in den Zelten nimmt zu. Und es sind noch immer über vierzig Stunden.« Polizeihauptmeister Ulgenhoff saß bei seinem Vorgesetzten im Büro der Wiesn-Wache. »Unmöglich abzuschätzen, wie lange das noch gutgeht.«
    »Wir haben die Erlaubnis, das Ultimatum in den Zelten bekanntzugeben, sollte die Situation eskalieren. Aber je später wir den Leuten sagen, wie lange das noch andauert, desto höher ist die beruhigende Wirkung«, erwiderte Kroneder.
    »Die Ärzte in den Zelten verteilen heute Nacht auf Wunsch Schlafmittel. Am besten wäre es, wir würden die Geiseln die ganze Zeit betäuben können. Das wäre …«
    »Wir sind doch keine Veterinäre!«, rief Kroneder entrüstet. Dann sprach er mit nachdenklichem Ton weiter. »Trotzdem haben Sie natürlich recht. Vielleicht kann man was ins Bier mischen. Ich werde mit dem leitenden Polizeiarzt und mit dem Polizeipräsidenten darüber reden.«
    »Wir können von Glück sagen, dass niemand in den Zelten den Staatssekretär verstanden hat, als er versucht hat, Verhandlungen aufzunehmen. Das hätte zu einer Panik führen können, die unweigerlich in eine Katastrophe ausgeufert wäre.«
    »Trotzdem hat der Mann ein so grausiges Ende nicht verdient. Er war hier, um den Geiseln zu helfen. Wir haben es mit einem Tätertypus zu tun, mit dem wir nicht umgehen können. Unsere Szenarien versagen.«
    »Immerhin scheint es hilfreich zu sein, dass jetzt die Bundeswehr da ist. Wie ich von den Kollegen höre, wird die Stimmung besser.«
    *
    Baltijsk, 22:34 Uhr Ortszeit
    Er hatte den Taxifahrer bezahlt, der die Schweizer Franken mit einem Schwall von Dankesworten entgegengenommen hatte. Ein ordentliches Trinkgeld hatte er draufgelegt. Sah nett aus, der Taxifahrer. Sehr traurige Augen. Sympathisch.
    Dennoch, dass Klarow, der Milizoberst, ein Lokal gewählt hatte, das in einer anderen Stadt lag, wunderte Dr. Urs Röhli. Dass es außerdem in dieser heruntergekommenen Hafengegend lag, irritierte ihn zusätzlich. Und als er das Lokal betrat, wuchs sich seine Verwunderung zu ernster Beunruhigung aus, obwohl er den verblassten Schriftzug »Oleg« draußen hatte lesen können. Eigentlich hatte er mit Klarow gemeinsam essen wollen. Aber das hier war kein Speiserestaurant. Zumindest keines von der Sorte, die sie normalerweise besuchten. Das hier war eine Hafenkneipe. Oder

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