Oktoberfest
Schiff wieder auf.
Als Kapitän Jestschew die Brücke betrat, klatschte eine weitere Gischtfahne auf die Verglasung und nahm ihnen für mehrere Sekunden die Sicht.
»Die Hafenmeisterei hat sich gemeldet und uns einen Liegeplatz zugewiesen, Kapitan perwowo ranga«, berichtete sein Erster Offizier. »Die Deutschen sagen, da hätten wir uns einen schönen Sturm ausgesucht, um einzulaufen. Auf jeden Fall heißen sie uns willkommen.«
»Ja, das sind höfliche Menschen, die Deutschen«, sagte Jestschew.
Gute eineinhalb Stunden später stand Kapitän Jestschew in der Brückennock und überwachte das Festzurren der letzten Leinen. Das Anlegemanöver war abgeschlossen. Einer der gewaltigen Containerkräne kam auf Schienen an der Kaje bereits auf das Schiff zu, um mit dem Löschen der Ladung zu beginnen.
Noch immer brüllten Sturm und Eisregen über die »Gagarin 3« hinweg, die an den dicken Leinen zerrte wie ein gefangenes Tier in Panik. Die beinahe waagrechten Reihen eisiger Nadeln bissen dem Kapitän in die Wangen.
»Ich glaube nicht, dass wir uns diesen Sturm ausgesucht haben«, murmelte der alte Seemann. Unheil schwang in seiner Stimme. »Ich glaube, wir bringen den Sturm mit.«
*
Afghanistan, Tschurangar-Tal, 1984
Als die Sprengköpfe der ersten beiden Granaten in dem Dorf einschlugen, waren bereits vier weitere Geschosse in der Luft. Die Friedlichkeit des Morgens wurde durch die Detonationen mit lodernder Endgültigkeit beendet.
Ein Inferno aus Feuer und Stahl ging auf das Dorf nieder.
Ein kleiner Eselskarren, der auf dem Dorfplatz stand, wurde von einem Volltreffer in einzelne Holzfasern zerlegt. Eine Gestalt kam aus einer der Hütten gerannt, die Arme panisch in die Höhe gereckt, den Mund weit offen.
Sekunden später wurde sie von Granatsplittern in einer blutigen Wolke zerrissen. Ein Fuß sollte später gefunden werden.
Nach neunzig Sekunden kehrte wieder Ruhe ein.
»Stellung halten.« Blochins Stimme erreichte die Ohren seiner Männer, als der Detonationslärm verklang. Mit dem Befehl zur Meldung wandte er sich an seine beiden Kundschafter.
»Es kommen Menschen aus den Hütten. Einige sind verwundet. Keine Waffen zu sehen.« Es entstand eine Pause. »Ich sehe keine Männer, nur Frauen und Kinder und ein paar Alte.«
»Bestätigen!«
Sein zweiter Kundschafter gab über Funk durch, dass er ebenfalls keine Männer entdecken konnte.
»Vielleicht verstecken sich die Bastarde unter den Schleiern ihrer Frauen. Langsam vorrücken. Rückwärtige Stellungen Feuerbereitschaft. Behaltet den Steilhang über dem Dorf im Auge.«
Blochin erhob sich und ging in gebückter Haltung, sein AK-47 im Anschlag, langsam bergan auf das Dorf zu. Seine Männer erhoben sich ebenfalls und folgten ihm. Nervosität lag in der Luft.
Dies war der kritische Moment.
Jetzt waren sie für einen eventuellen Gegner sichtbar.
Ein einzelner Schuss krachte durch das Tal. Die Männer warfen sich auf die Erde.
»Woher kam das? Jemand getroffen?« Blochin bellte in sein Mikrofon.
Der Posten, der auf der rechten Seite des Dorfes Stellung bezogen hatte, antwortete. »Direkt über mir, ungefähr dreißig Meter, eine kurze Bewegung. Aber ich habe keinen Sichtkontakt.«
Neunzig Augenpaare blickten angestrengt aus den Schlitzen der schwarzen Sturmhauben und suchten den Berghang ab.
»Ich kann ein Ziel sehen, eine Bewegung, hinter einem Stein«, meldeten die Männer der rechten MG-Stellung.
»An PKS 2: Feuer frei!«, befahl Blochin mit ruhiger Stimme.
Das schwere MG schickte einen Kugelhagel in Richtung der Bewegung. Die Männer sahen die Staub- und Erdfontänen, die Einschläge anzeigten. Querschläger jaulten schrill durch die Luft. Geröllsplitter spritzten hoch. Auf den Scharfschützen, der unterhalb der beschossenen Stelle lag, ging ein Regen aus Erde und kleinen Steinen nieder.
Dann sahen die Männer, wie hinter einem größeren Stein zwei Arme in die Höhe gerissen wurden. Ein altertümlich anmutendes Gewehr fiel über den Stein und blieb liegen. Eines der silbernen Beschlagteile der Waffe blitzte in der Sonne. Eine Gestalt rollte den Abhang herunter und blieb ungefähr fünf Meter entfernt von dem Beobachtungsposten an einem Felsvorsprung liegen.
Das MG stellte das Feuer auch ohne Befehl augenblicklich ein. Die Männer waren gut ausgebildet. Im Feld musste man immer Munition sparen.
Der Kopfhörer knackte.
»Ein Knabe. Höchstens fünfzehn Jahre alt.« Die Stimme des Postens klang belegt.
Regungslos warteten die
Weitere Kostenlose Bücher