Oktoberfest
Übersetzung abwartete, gab er sein Gewehr dem Soldaten, der rechts neben ihm stand. Er blickte aus den Schlitzen seiner Sturmhaube auf die Dorfbewohner und wartete schweigend.
Keiner der Dorfbewohner gab einen Laut von sich. Nur ein Kind weinte leise.
Mit vier schnellen Schritten war er bei einer Frau, die einen Säugling in ihren Armen hielt. Mit einer ruckartigen Bewegung entriss er der Mutter das Kind. Er hielt es am Nacken gefasst.
Langsam ging Blochin auf den Brunnen des Dorfes zu. Das Baby begann zu schreien. Der Brunnen war nur ein Loch im Boden, mit einigen aufgetürmten Steinen gegen Versandung geschützt. Ein leicht fauliger Geruch stieg vom Wasser auf.
Er hielt das schreiende Kind am ausgestreckten Arm über das Brunnenloch.
»Fragen Sie die Mutter, ob sie weiß, wo die Männer sich verstecken.«
Der Dolmetscher wandte sich an die Frau, die auf die Knie gesunken war und deren Hände mit flehenden Gesten Richtung Himmel ruderten. Mit tränenvoller Stimme entgegnete sie etwas auf Paschtu. »Sie sagt, sie weiß es nicht genau, aber es seien zwei Höhlen etwas oberhalb des Dorfes. Dort hätten sie als Kinder immer gespielt. Sie sagt, Sie sollen bitte ihr Kind verschonen.«
»Sagen Sie ihr, ich muss es aber genau wissen.«
Das Schreien des Kindes wurde schriller.
Eine der Frauen, die hinter der knienden Mutter stand, gab dieser einen Tritt und zischte etwas zwischen den geschlossenen Lippen hervor. Der Dolmetscher stand jedoch so nahe, dass er die Worte verstand.
»Sie hat ihr gesagt, sie sei eine Verräterin und würde bestraft, wenn sie mehr sagt«, erklärte er seinem Kommandeur.
»Aah so.« Blochin sprach gedehnt und nickte langsam mit dem Kopf.
Dann ließ er das Kind fallen.
Das Schreien verklang in dem tiefen Brunnenloch. Alle konnten das Aufschlagen des kleinen Körpers auf dem Wasser hören. Es dauerte nur Sekunden, dann lag plötzliche Stille über dem Platz.
Gepeinigt schrie die Mutter auf und warf sich, von Schluchzen geschüttelt, auf den Boden.
Ein kurzes Lächeln umspielte Blochins Mundwinkel unter der Sturmhaube. Er sagte etwas zu sich selbst, das keiner der Anwesenden verstand. Das lag daran, dass Oleg Blochin diesen Satz in akzentfreiem Hochdeutsch sprach.
»Hoppla, jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen.«
Aus der Gruppe von Gefangenen, die Blochin am nächsten stand, löste sich plötzlich eine Frau. Mit einer erstaunlich schnellen Bewegung zog sie ein Messer aus ihrem Gewand, hielt es hoch über dem Kopf und stürmte auf den Hauptmann zu. Von ihren Lippen drang ein Schrei der Wut und Verzweiflung.
Die Männer waren völlig überrascht.
Blochin war selbst für Bruchteile einer Sekunde perplex. Wie in Zeitlupe sah er die Klinge näher kommen.
Da erwachte der Mann rechts neben ihm aus seiner Erstarrung. Er reagierte mit unglaublicher Geschwindigkeit. Mit einer schnellen Aufwärtsbewegung des Gewehrs fing er die heranstürmende Frau ab.
Die Frau sprang geschickt zur Seite.
Die zweiundzwanzig Zentimeter lange Klinge des Bajonetts verfehlte ihren Körper nur um eine halbe Handbreit. Der Mann ließ das Gewehr fallen, behielt aber den Schwung der eigenen Vorwärtsbewegung bei. In gebückter Haltung tat er einen Schritt auf die Frau zu, die noch immer mit erhobener Klinge nach vorn stürmte.
Die rechte Hand des Mannes schoss vorwärts. Daumen, Zeige- und Mittelfinger waren in Form eines gleichschenkligen Dreiecks nach vorne gerichtet. Die drei Fingerspitzen trafen den Brustkorb der Frau genau auf dem Herzen und vollzogen im Moment des Auftreffens eine kurze, schnelle Drehung.
Der Schrei verröchelte auf ihren Lippen.
Die Frau sank auf die Knie, ihre Augen verdrehten sich zum Himmel, dann fiel sie vorwärts in den Staub.
Die Männer hoben drohend die Bajonette. Nur der entfernte Schrei eines Vogels durchbrach die Stille.
Blochin sah den Soldaten an. Zwei Augenpaare begegneten sich.
Heller Fels.
»Wie heißen Sie, Soldat?«, fragte Blochin.
»Iljuschin, Gospodin Kapitan«, entgegnete der Mann und salutierte. »Offiziersschüler im zweiten Jahr. Ausbildungsschwerpunkt: Nahkampf. Nicht verwandt oder verschwägert mit dem Flugzeugkonstrukteur.«
»Ich will Sie im Kampf in Zukunft in meiner Nähe haben, Soldat. Ich werde Ihre Karriere im Auge behalten. Ich habe den Eindruck, Sie bringen mir Glück.«
Blochin reichte dem Mann die Hand. Dann wandte er sich an einen Oberleutnant, der herangetreten war. »Wir werden diese beiden Höhlen schon finden«, sagte er.
Sein Blick
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