Oktoberfest
Bavariaring, bei der Paulskirche. Die Soldaten wissen Bescheid. Sie werden zur Wiesn-Wache gebracht. Dort warten Sie auf den Bundespräsidenten.«
»Ich werde pünktlich sein. Jetzt muss ich noch einige Vorbereitungen treffen. Auf Wiederhören.«
»Und, Frau Karman, wenn wir etwas für Sie tun können, dann lassen Sie es mich wissen.«
»Ja, das können Sie. Wünschen Sie mir Glück!«
Sie drückte auf den roten Knopf an ihrem Mobiltelefon, um das Gespräch zu beenden. Was war noch zu tun? Das Diktiergerät zu Hause abholen. Notizbücher und Stifte einpacken. Die kleine Digitalkamera. Oh, Mann! Sie würde sich mit dem Bundespräsidenten direkt in die Höhle des Löwen begeben. Bestimmt würde das im Fernsehen übertragen werden.
Sie musste sich umziehen. Sie würde ihr anthrazitfarbenes Kostüm tragen. Ganz klassisch. Knielanger Rock. Zweireihiger Blazer. Blickdichte Strümpfe. Ihre Beine konnten sich sehen lassen. Eine weiße Bluse dazu. Schmuck? Nein. Make-up? Nur ganz dezent.
Gedankenverloren klappte sie das Telefon zu und ließ es in ihre Handtasche gleiten.
Doch es fiel nicht in die Tasche.
Es fiel daneben.
Mit einem Knall schlug es auf dem Asphalt auf. Der Deckel des Batteriefachs sprang ab. Sie bückte sich fluchend, um das Telefon wieder aufzuheben. Als sie das Gerät aufklappte, sah sie, dass das Display einen Sprung hatte und das Scharnier gebrochen war.
Da war nichts mehr zu machen.
»Auch das noch! Verdammter Schiet!« Sie nahm den Akku aus dem Gerät und entfernte die SIM-Karte aus ihrer Halterung, denn auf dieser Karte waren alle wichtigen Nummern gespeichert. Aus ihrer Handtasche kramte sie eine volle Packung Papiertaschentücher hervor. Sie drückte die Packung an den Seiten zusammen. Dann schob sie die SIM-Karte dazwischen. Sie verschloss die Packung wieder und steckte sie zurück in die Handtasche. So war die empfindliche Karte geschützt. Wo sollte sie jetzt ein neues Telefon herbekommen?
*
Über die letzten Stunden hatten sich in dem amerikanischen Marineinfanteristen Wut und Aggression aufgebaut. Das war für Peter Heim unschwer zu beobachten. Mehrfach versuchte er, Oberstleutnant McNamara zu beruhigen. Doch der hatte zunehmend unwillig auf seine Bemühungen reagiert.
»Diese Bastarde haben ihr bestimmt etwas angetan. Für die zählt doch ein Menschenleben nichts.« Peter Heim hatte den Eindruck, dass der Amerikaner mehr mit sich selbst sprach als mit ihm. »Wenn sie ihr auch nur ein Haar gekrümmt haben, dann werden sie das bitter bereuen.« Der Geheimdienstoffizier redete beunruhigend leise.
Fieberhaft überlegte Professor Heim, mit welchen Argumenten er den Amerikaner davon abhalten könnte, eine Dummheit zu begehen. Wobei Dummheit wohl nicht ganz der richtige Ausdruck war. Der Mann brachte damit sein Leben in Gefahr.
Oder noch genauer: Peter Heim war sich sicher, dass der Marineinfanterist – zumal selbst unbewaffnet – eine Konfrontation mit den Geiselnehmern nicht überleben würde. Aber damit nicht genug: Die Reaktion der Täter war nicht abzuschätzen. Würden sie aus Rache weitere Geiseln töten? Möglicherweise bekamen diese Menschen Angst, dass ihre Autorität in Frage gestellt wäre, wenn sie nicht blutig zurückschlügen. Das musste McNamara doch auch klar sein.
»Sehen Sie, Mr. McNamara …«, begann Heim, stockte jedoch sofort, denn der Marineinfanterist machte eine abwehrende Geste, die ihn zum Schweigen brachte. McNamaras Blick ging an ihm vorbei. Kleine Falten über der Nasenwurzel zeigten an, dass er sich konzentrierte.
Langsam drehte sich der Professor um. Er wollte nachsehen, was die Aufmerksamkeit seines Gegenübers erregt hatte.
Der Anführer der Geiselnehmer kam auf ihren Platz zu. In ungefähr zwanzig Metern Entfernung gab er eine Anweisung an die beiden Männer, die ihn begleiteten. Die zwei Soldaten blieben stehen, während ihr Kommandeur weiterging. Als er ihren Tisch erreicht hatte, baute er sich vor McNamara auf.
Peter Heim konnte von dem Gesicht des Mannes nur die Augen sehen. Der Rest wurde von einer Sturmhaube aus dünnem schwarzen Stoff verdeckt. Der Blick des Geiselnehmers streifte den Professor nur kurz. Danach fixierte er sofort wieder den Amerikaner.
Dieser kurze Moment reichte jedoch, um Peter Heim einen Schauer über den Rücken zu jagen. Die Augen des Mannes waren unnatürlich hell, wirkten wie entfärbt. Ein blasses Grau war zu erkennen. Der Blick des Mannes mit der Nummer eins auf dem Helm war unbeteiligt.
Heller Fels.
Die
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