Oktoberfest
zu uns ins Zelt holen und die Operation weiterhin planmäßig verläuft, dann wird sie für uns die Legende von den kultivierten Geiselnehmern erschaffen. Davon hätten wir schon etwas.« Iljuschin richtete sich in seinem Stuhl auf, bevor er weitersprach. »Und ich übernehme die Verantwortung, dass sie nichts tut, was uns schaden kann. Außerdem …«
»Was, außerdem?«, unterbrach ihn Blochin scharf.
»Außerdem würden Sie mir persönlich eine Freude machen.«
Blochin sah den Nahkampfspezialisten durchdringend an. Dann wandte er sich an Okidadse. »Was meinen Sie dazu?«
»Wenn es Polkownik Iljuschin Freude macht, warum nicht? Wir halten hier ohnehin knapp fünftausend Geiseln in Schach. Da kommt es auf eine mehr oder weniger meiner Meinung nach nicht an. Ich sehe keine Gefahr für den Fortgang der Operation.«
Iljuschin hätte Okidadse umarmen können. Obwohl er ansonsten von dem Techniker nicht viel hielt. Ein Sesselfurzer, kein Kämpfer.
Es verstrichen einige Sekunden, bevor Blochin langsam antwortete. Er betonte jedes Wort. »Nun gut, Polkownik Iljuschin. Wenn es denn Ihr persönlicher Wunsch ist, sollen Sie Ihren Willen haben. Um der vielen Jahre willen, die wir Seite an Seite im Kampf standen. Aufgrund Ihrer bedingungslosen Loyalität, auf die ich mich immer verlassen konnte. Und in Anerkennung Ihrer Tapferkeit, die Sie im Kampf stets bewiesen haben.«
Wir werden uns nahe sein, dachte Iljuschin.
Ganz nahe.
Es war so weit.
Dann fuhr Blochin mit deutlich schärferer Stimme fort. »Aber Sie werden auf die Frau aufpassen. Stellen Sie einen Mann daneben, der sie nicht aus den Augen lässt.« Das hatte ich ohnehin vor, dachte Iljuschin, während Blochin weitersprach. »Wenn sie irgendetwas unternimmt, das unsere Operation gefährdet, ist sie augenblicklich zu liquidieren. Wir alle wissen, dass das Fräulein ziemlich clever sein muss. Ich werde ein Schreiben an ihre Redaktion aufsetzen und per Fax losschicken. Die Behörden werden einen entsprechenden Text erhalten, der die Echtheit des Fax bestätigt. Wir werden sehen, ob sie überhaupt den Mumm hat, zu uns zu kommen. Vielleicht ist ihr das Risiko auch zu hoch. Wir können sie ja nicht zwingen.«
»Doch, das können wir.« Iljuschin nickte eifrig. »Schreiben Sie einfach, wir nehmen das Angebot des Präsidenten nur an, wenn Amelie Karman mitkommt.«
Diesmal sprach Generalmajor Oleg Blochin seine Antwort mit einer Bestimmtheit, die keine weitere Diskussion duldete: »Abgelehnt! Ich werde doch den Mut dieses Mannes nicht dadurch herabwürdigen, dass ich die Anwesenheit so eines dummen Huhns als zusätzliche Forderung stelle.«
Der General würde sich noch wundern, sehr sogar.
*
Amelie Karman war gerade zu Fuß auf dem Weg in die Redaktion, als sie der Anruf erreichte. Was ihr der Leiter der Münchner Redaktion da soeben mitteilte, war derart unglaublich, dass sie zunächst an einen schlechten Scherz unter Kollegen dachte.
Die Ernsthaftigkeit in der Stimme ihres Vorgesetzten ließ jedoch keinen Zweifel zu. Das Fax war echt. Die Polizei hatte das bestätigt. Die Täter boten ihr an, zusammen mit dem Bundespräsidenten ins Benediktiner-Zelt zu kommen.
»Ihnen muss klar sein, Frau Karman, dass der Verlag keinerlei Garantie für Ihr Leben übernehmen kann. Die Polizei rät davon ab, dass Sie der Einladung der Täter folgen. Sie gehen damit ein unmittelbares Risiko für Leib und Leben ein.«
Aber wenn ich das überlebe, dachte Amelie, dann bekomme ich für diese Reportage den gottverdammten Pulitzer-Preis. Und ihr Risiko war auch nicht höher als das des Bundespräsidenten oder das von Werner, der immer noch im Bärenbräu-Zelt festsaß.
Amelie sollte später noch oft darüber nachgrübeln, wieso sie sich in diesem Moment nicht gefragt hatte, warum die Geiselnehmer ausgerechnet ihr dieses Angebot machten. Aber in diesem Moment stellte sie sich diese Frage nicht. Zu verlockend war die Aussicht auf eine weltweite Exklusivgeschichte.
»Das ist mir klar. Aber Sie verstehen auch, dass dieses Angebot eine einmalige journalistische Chance darstellt.« Als sie weitersprach, zitterte ihre Stimme zwar leicht, doch ihre Entscheidung stand fest. »Ich werde das Angebot annehmen. Wie wird das vor sich gehen?«
Der Redaktionsleiter seufzte. Er hatte diese Reaktion erwartet. Jugendlicher Leichtsinn gepaart mit Ehrgeiz. Eine gefährliche Kombination.
»Sie finden sich um sechzehn Uhr an der Theresienwiese ein. Sie passieren den militärischen Sperrgürtel am
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