Oktoberfest
Die Blutung mit einer Arterienklemme gestoppt. Das Bein provisorisch geschient.
Beinahe hätte Iljuschin den Mann umgebracht. Blochin hatte den Nahkampfspezialisten nicht in die Einzelheiten seines Vorhabens eingeweiht, denn er hatte sich nicht vorstellen können, dass die Situation seiner Kontrolle entglitt. Wäre der Amerikaner gestorben, wäre seine schöne Desinformationsoperation beim Teufel gewesen.
Seine rechte Schulter und der Arm steckten in einem widerstandsfähigen Verband. Dr. Kusnezow hatte die Schulter wieder eingerenkt und mit einer Gilchrist-Schlinge fixiert. Danach hatte er ihm mehrere Spritzen gegeben.
»Das wird trotzdem einige Zeit dauern, bis Sie Ihren rechten Arm wieder belasten können, General. Die nächsten Tage über wird die Schulter anschwellen. Sie werden starke Schmerzen haben. Die Schmerzen kann ich wegspritzen, aber der Heilungsprozess braucht seine Zeit«, hatte ihm der Arzt erklärt.
Trotz der Schmerzmittel konnte er ein Mahlen in seiner rechten Schulter spüren. Die kleinste Bewegung des Arms schickte einen stechenden Impuls durch seinen ganzen Körper.
Verdammt noch mal!
Er dachte an ihren Fluchtplan und an die Schwierigkeiten, die durch seine Verletzung entstanden. Er würde die Zähne zusammenbeißen müssen. Irgendwie würde er das schon schaffen. Die Sache lag ganz einfach: Er musste es schaffen. Bald wäre er an einem Ort, an dem er sich in Ruhe würde auskurieren können.
Er erhob sich langsam und winkte Dr. Kusnezow heran. Gemeinsam gingen sie zu dem Amerikaner. Eine Infusion glich den Blutverlust aus. Morphium nahm ihm die schlimmsten Schmerzen. Blochin sprach Deutsch mit ihm. Dr. Kusnezow übersetzte.
»Sie sind ein mutiger Mann«, begann Blochin. »Ich respektiere Mut.«
»Sie haben meiner Frau etwas angetan. Wenn Sie mich nicht töten, werde ich Sie töten, das verspreche ich Ihnen«, entgegnete McNamara.
Seine Stimme war leise. Er atmete nur flach. Blanker Hass schwang in jedem Wort mit.
»Sie sind in der Tat ein mutiger Mann«, wiederholte Blochin. »Aber Ihre Sorgen sind unbegründet. Ihrer Frau geht es gut. Unser Arzt konnte ihr helfen. Ihnen übrigens auch.«
Oberstleutnant McNamara riss die Augen auf. Was hatte der Mann gesagt? Seiner Brighid ging es gut? Misstrauisch sah er die beiden Männer an.
Blochin nickte Dr. Kusnezow zu, der seinerseits einem Sanitäter ein Zeichen gab. Kurze Zeit später wurde Brighid McNamara in das Lazarett geführt. Sie war noch etwas wackelig auf den Beinen, doch als sie ihren Mann sah, lächelte sie tapfer.
»Sie haben mir gesagt, dass du wieder gesund wirst«, sagte sie zu ihrem Mann.
»Dir geht es wirklich gut?« Noch immer lag Misstrauen in seiner Stimme.
Brighid McNamara nickte. »Ja, mir geht es gut.«
»Hat dir jemand etwas angetan?«
»Nein. Es ist alles in Ordnung.«
Der amerikanische Offizier lächelte erleichtert.
»Ich werde Sie beide gehen lassen«, meldete sich Blochin wieder zu Wort. »Sie müssen in ein Krankenhaus. Und wie ich schon sagte: Ich respektiere Mut. Sie haben sich das Leben verdient.«
Er nickte zwei Sanitätern zu. »Bringen Sie den Mann zum Ausgang. Im Freien sollen zwei Geiseln die Bahre tragen. Wenn sie zu fliehen versuchen, werden sie erschossen. Ich werde den Scharfschützen die entsprechenden Befehle geben.« Über Funk meldete er sich bei Okidadse. »Schicken Sie dem Gegner eine Mitteilung, dass wir zwei verwundete Geiseln freilassen.«
»Zu Befehl, General«, kam die Stimme des Fernmeldeoffiziers aus dem Kopfhörer.
Die beiden Sanitäter hoben die Liege an und trugen sie aus dem Lazarett.
Blochin wandte sich an Dr. Kusnezow. »Eine Kriegslist basiert darauf, den Gegner dazu zu bringen, eine Situation von sich aus falsch einzuschätzen«, begann der General. »Bald wird der Bundespräsident hier im Zelt eintreffen. Ich habe vor, mein Wort zu halten und die Insassen eines Zeltes gehen zu lassen. Zusätzlich lasse ich zwei Verwundete frei. Mehr kann man wirklich nicht verlangen. Der Gegner hat keinen Grund, an meiner Gutwilligkeit zu zweifeln.«
Blochin lächelte sein unsichtbares Lächeln unter der Sturmhaube.
Dr. Kusnezow sah Blochin an. Er kannte seinen Kommandeur schon lange. Er wusste, dass der Generalmajor zahlreiche gute Charaktereigenschaften hatte.
Verlässlichkeit, beispielsweise.
Auch Entschlusskraft.
Oder Loyalität.
Aber Gutwilligkeit gehörte definitiv nicht dazu.
Oleg Blochin aktivierte sein Funkgerät und stellte es auf den Sammelkanal ein, der ihn mit
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