Oktoberfest
vor. An den Stellen, wo offiziell keine Kabel eingezeichnet waren, verlegten die Männer sie innerhalb der Balken oder tarnten die Kabelkanäle mit Holzkitt.
Etwas abseits machten sich einige Männer in der Dunkelheit zu schaffen. Sie trugen Nachtvisiere. Sie gruben Kanäle, in die sie Kabel und Rohre legten. Dann wurden die entsprechenden Stellen wieder zugeschüttet. So arbeiteten sie sich zwischen den Zelten vor.
Immer weiter.
Jede Nacht.
Doch nicht nur auf der Theresienwiese wurden im Verborgenen Vorkehrungen getroffen, sondern auch darunter. Ein Trupp von Männern war in der Kanalisation unterwegs.
Im Untergrund.
Oberst Iljuschin, der sich Malow nannte, trieb die Männer zur Eile an. Wenn unvorhergesehene Verzögerungen auftauchen würden, wäre es besser, wenn man auch dem eigenen Zeitplan etwas voraus wäre.
Er beugte sich mit drei Männern über eine technische Zeichnung, die die schematische Darstellung eines Röhrensystems zeigte. Sein Finger deutete auf einen seiner Meinung nach neuralgischen Punkt.
Im Prinzip sah dieser Plan genauso aus wie der Plan mit den Frisch- und Abwasserleitungen. Oder der Plan mit den Erdgasleitungen für die riesigen Grillmaschinen, auf denen Tausende Hühnerleiber geröstet würden. Und im Prinzip sah dieser Plan auch genauso aus wie der Plan, auf dem sämtliche Strom- und Telefonleitungen eingezeichnet waren.
Aber eben nur im Prinzip.
Niemand wusste von den zusätzlichen Leitungen, die neben den regulären gezogen wurden. Größtenteils wurden die Leitungen in anderen Röhren verlegt. Von außen nicht erkennbar. Und noch zwei Eigenschaften unterschieden die Röhren, die zusätzlich montiert wurden, von denen, die auf den offiziellen Plänen eingezeichnet waren.
Zum einen das Material: Sie waren alle aus Kunststoff.
Zum anderen die Stabilität: Sie würden einem extremen Innendruck standhalten.
*
Zwei Wochen später betrat Werner Vogel morgens sein Büro. Er hatte bei Amelie übernachtet. Das bedeutete, dass er einen längeren Weg zur Firma hatte als sonst, und deshalb war er spät dran.
Umso mehr verwunderte es ihn, dass Karl Romberg noch nicht da war. Er begrüßte ihre gemeinsame Sekretärin und machte sich daran, die Post vom Tage durchzuarbeiten. Er war gerade beim Diktat des dritten Antwortbriefs, als er Rombergs Stimme hörte.
Romberg sprach offensichtlich sehr laut. Nein, er sprach nicht, er rief irgendetwas. Sonst wäre seine Stimme nicht durch die geschlossene Bürotür gedrungen. Vogel erhob sich und ging zur Tür. Als er diese öffnete, bot sich ihm ein bizarres Bild.
Karl Romberg stand im Vorraum, und dem Gesichtsausdruck der Sekretärin nach zu schließen, war sein Partner verrückt geworden. Mit einer Hand hielt er einen Brief in die Höhe und fuchtelte damit in der Luft herum. Mit der anderen Hand deutete er immer wieder auf das Schriftstück. Sein Gesicht war gerötet.
»Ha!«, rief Romberg. Und dann noch mal: »Ha!«
»Karl?«, fragte Vogel mit vorsichtiger Stimme. »Alles in Ordnung?«
Karl kam mit aufgerissenen Augen auf ihn zu. »Ha!« Wieder deutete seine Hand auf den Brief, den er noch immer über seinem Kopf schwenkte.
»Was ist denn los?«
»Ich hab gewonnen!«
Es dauerte einige Sekunden, bis Werner verstand. Dann lachte er laut. »Du hast gewonnen? Na, herzlichen Glückwunsch, lieber Freund!«
Er hakte seinen Arm bei ihm unter, und dann hüpften sie beide im Kreis herum. Sie begannen zu singen. »Ge-won-nen, ge-won-nen!«
Der Sekretärin wurde in diesem Moment klar, dass offensichtlich soeben beide Chefs des Unternehmens den Verstand verloren hatten.
Nachdem sie ihren Tanz beendet hatten, nahm Vogel Rombergs Kopf zwischen beide Hände und schüttelte ihn.
»Was ist es denn? Ein Motorroller? Oder ein Rasenmäher? Ein Bademantel? Ein Jahr lang kostenlose Rasierklingen?«
»Ha!«, rief Romberg nochmals. »Etwas viel Besseres! Halt dich fest! Ich habe eine Reise gewonnen. Zehn Tage Fotosafari in Afrika! Im berühmten Okavango-Delta! Da staunst du, was?«
Er rang nach Luft.
»Eine Reise!«, sagte Vogel anerkennend. »Das ist allerdings was anderes. Dann noch mal umso herzlicheren Glückwunsch. Wann soll es denn losgehen?«
Schlagartig verdüsterte sich Karls Miene. »Das ist leider ein Problem. Ich habe schon nachgefragt. Es gibt keine Ausweichtermine. Die Reise beginnt am zweiten Oktoberfest-Samstag. Ich glaube deshalb nicht, dass ich fahren werde. Ich kann dich doch hier nicht allein lassen. Ausgerechnet während des
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