Oktoberfest
ungeheuerlich, dass Minuten vergingen, bevor überhaupt jemand reagierte. Und zunächst waren die Reaktionen eher verärgert als verängstigt. Das konnte nur ein Scherz sein.
Und zwar ein verdammt schlechter.
Der diensthabende Büroleiter in der Staatskanzlei rief im Polizeipräsidium an. Der Mann, der im Rathaus Wochenenddienst schob, versuchte, den Oberbürgermeister über sein Mobiltelefon zu erreichen. Der Schichtleiter im Polizeipräsidium meldete sich bei Alois Kroneder auf der Wiesn-Wache.
»Sagen Sie mal, Kollege Kroneder, was ist da bei Ihnen los? Wir haben ein Fax ohne Absenderkennung in das Büro des Schichtleiters bekommen. Das ist eine interne Nummer. Kommt der Scherz von Ihnen?«
»Wieso? Äh, was für ein Fax? Was für ein Scherz? Hier ist alles ruhig.«
»Hören Sie mal genau zu: Jemand behauptet, er habe das Oktoberfest in seiner Gewalt. Er sagt, sämtliche Zelte seien von ihm mit Giftgas bestückt. Er sagt, die Insassen aller Zelte seien seine Geiseln.« Der Beamte holte tief Luft.
»Haben Sie das verstanden? Hier steht aller Zelte.« Wieder ließ er eine kurze Unterbrechung folgen. »Er schreibt, die Bereitschaftspolizei hätte innerhalb von einer Stunde dafür zu sorgen, dass niemand mehr die Zelte verlässt. Zuletzt schreibt er noch, er habe das Benediktiner-Zelt in seiner unmittelbaren Gewalt. Was sagen Sie dazu?«
Kroneder hatte angefangen zu schwitzen, während sein Vorgesetzter ihn anherrschte. Ängstlich sah er zu seinen Monitoren herüber. Alles wie gehabt. Über Funk waren auch keine Besonderheiten gemeldet worden.
»Das, äh, das muss ein Irrtum sein, hier ist alles ruhig«, stotterte er.
»Schicken Sie sofort eine Patrouille zum Benediktiner-Zelt. Ich will wissen, was da los ist. Ich will in fünf Minuten eine Antwort haben.« Die Stimme des Schichtführers hatte sich bedrohlich gehoben. »Haben Sie mich verstanden?«, brüllte er ihn schließlich an.
Ohne eine Antwort abzuwarten, brach der momentan höchstrangige Polizist Münchens das Gespräch ab. Sofort klingelte das Telefon erneut.
Das Büro des Ministerpräsidenten war dran. Einer dieser geschniegelten Einser-Juristen.
»Ich habe hier ein höchst seltsames Fax. Es kann sich eigentlich nur um einen Scherz handeln. Aber ich wollte sichergehen. Können Sie mir sagen, ob wir auf dem Oktoberfest irgendeine Situation haben, die sich als kritisch erweisen könnte? Ist irgendetwas los, von dem ich wissen sollte? Ihnen ist klar, dass der Herr Ministerpräsident ein großes Interesse an der Sicherheit der Gäste des Oktoberfestes hat. Ich schicke Ihnen das Fax mal zur …«
»Nicht nötig«, unterbrach ihn der Schichtleiter im Polizeipräsidium. »Wir haben das Fax auch bekommen. An eine interne Nummer. Ich habe eben mit der Wiesn-Wache telefoniert. Die schicken gerade eine Patrouille zum Benediktiner-Zelt. Wir hier im Polizeipräsidium sind jedoch ebenfalls der Ansicht, dass es sich nur um einen Scherz handeln kann.« Es folgte eine kleine Pause. »Da sind wir wohl einer Meinung.«
»Ja. Lassen Sie es mich wissen, wenn etwas passiert. Ich gebe Ihnen mal die Durchwahl.«
Das Blinken auf seiner Telefonkonsole ließ den Schichtleiter im Polizeipräsidium seinen Gesprächspartner bitten, kurz dranzubleiben. Auf der anderen Leitung war der Oberbürgermeister.
Persönlich.
»Grüß Gott, Herr Oberbürgermeister. Hat Ihr Anruf mit einem Fax zu tun, das …«
Der Oberbürgermeister ließ ihn nicht ausreden.
»Da haben Sie allerdings recht. Was soll dieses Fax, das ich da bekommen habe, bedeuten? An die interne Nummer meiner Rufbereitschaft kommt man doch von außen nicht ran. Ist irgendwas los auf der Wiesn? Ist irgendetwas passiert?«, fragte er. Er sprach schnell. Die Verärgerung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Ich habe das gerade schon mit dem Büro des Ministerpräsidenten besprochen. Wir sind der Meinung, das ist ein schlechter Scherz. Wir haben eine Patrouille zum Benediktiner-Zelt losgeschickt, um dort mal nach dem Rechten zu sehen.«
»Mit dem Büro des MP?«, fragte der Oberbürgermeister überrascht. »Was hat denn der MP mit der Sache zu tun?«
»Die haben da auch das Fax bekommen.«
Eine längere Pause trat ein.
»Das ist bedenklich. Ich möchte sofort unterrichtet werden, wenn etwas Ungewöhnliches auf dem Oktoberfest geschieht.«
»Das machen wir selbstverständlich gerne, Herr Oberbürgermeister. Wir …«
Ein weiteres Lämpchen auf seiner Telefonkonsole blinkte.
»Warten Sie
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