Oktoberfest
niemand den Helden spielt!«
Komischerweise fühlte sich Alois Kroneder plötzlich seltsam ruhig.
Die Bereitschaftspolizei musste sofort alarmiert werden.
Deeskalation. Evakuierung und Absperrung der Theresienwiese.
Die entsprechenden Pläne lagen vor.
Er nahm den Hörer ab und rief im Polizeipräsidium an.
18:38 Uhr
Professor Peter Heim fand nur mühsam in die Realität zurück. Das Erste, worüber er sich klar wurde, war der Schmerz. Seine Wange tat weh. Sein Hals war ausgetrocknet. Nach und nach hoben sich die Schleier von seinen Augen. Sein Kopf lag auf einem Tisch. Er erinnerte sich dunkel. Er war auf das Oktoberfest gegangen. Wieso war er eingeschlafen? Die Kapelle spielte nicht. Zuletzt hatten sie diesen bayerischen Schlager gespielt. Was war passiert? Hatte er zu viel … Nein, das war undenkbar. Was war mit den anderen?
Langsam hob er seinen Kopf von dem Biertisch. Sofort durchzog ein bohrender Schmerz seinen gesamten Schädel. Seine Schläfen hämmerten. Ihm war übel. Er hob die Hände an den Kopf und hielt in der Bewegung inne.
Auf dem Tisch vor sich sah er an der Stelle, wo sein Kopf gelegen hatte, einen dunklen Fleck. Daneben lag ein umgestürzter Maßkrug mit blutigem Rand. Er musste würgen. Seine Finger tasteten nach der rechten Wange. Als sie die Wange berührten, fuhr ihm der Wundschmerz durch die Nervenbahnen. Ein blutiger, nässender Schorf.
Er hob den Blick. Zunächst verweigerte sein Gehirn ihm den Dienst, als es das Gesehene für die Wahrheit halten sollte. An manchen Stellen bewegten sich ein paar Menschen, die meisten jedoch lagen regungslos auf den Tischen oder auf dem Boden. Der Platz auf der Bank gegenüber, auf dem Dr. Robert Hermanns gesessen hatte, war leer. Hermanns war verschwunden.
Dann sah er Gestalten, die aussahen wie Astronauten. Astronauten in schwarzen Anzügen.
Nein, das waren keine Astronauten.
Das waren irgendwelche … Dann sah er die Gasmasken. Feuerwehr? Oder Katastrophenschutz. THW. Irgend so etwas.
Genau.
Das musste der Katastrophenschutz sein. Eine Welle von Panik stieg in ihm hoch. Aber halt. Wenn der Katastrophenschutz da war, dann wurde ja bereits geholfen.
Die Welt verschwamm kurz vor seinen Augen. Während sein Blick sich klärte, sah er von links nach rechts. Ein erneuter starker Brechreiz lief wie eine Welle durch seinen Körper. Von ferne hörte er etwas, das wie eine Durchsage auf einem Bahnhof klang.
Plötzlich bemerkte er die Waffen. Die Männer waren alle mit kleinen schwarzen Maschinenpistolen bewaffnet. Viele trugen Faustfeuerwaffen am Bein oder vor der Brust, einige auch Messer. Das war doch nicht der Katastrophenschutz. Das musste die Polizei sein. Das musste irgendeine Sondereinheit sein. Er war in Sicherheit.
Dann sah er, dass einige der Männer vorne und auf dem Rücken das Zeichen des roten Kreuzes trugen. Offensichtlich Sanitäter. Menschen wurden auf Bahren durch das Zelt getragen. Also doch der Katastrophenschutz.
Wo war Robert Hermanns? Wie ging es den anderen, die bei ihm gewesen waren?
Ihm wurde schwindelig.
Peter Heim verlor erneut das Bewusstsein.
*
Drei Prozent Mortalität hatte Dr. Kusnezow prognostiziert. Tatsächlich waren es einhundertachtundsechzig Personen, deren unnatürlich blasse Gesichtsfarbe anzeigte, dass sie die Narkose nicht überlebt hatten. Einige seiner Leute hatten die Toten auf Bahren durch die seitlichen Öffnungen aus dem Zelt getragen. Dort wurden die Leichen von Männern in Empfang genommen, die die leblosen Körper im Inneren eines Kühltransporters stapelten. Dieser Wagen war der einzige, dessen Kühlaggregat nicht nur eine Attrappe war. Gerade eben warfen sie die Leiche von Dr. Robert Hermanns zu den anderen, dann schlossen sie die Türen.
Die Kühlung sprang an.
Es war Iljuschins Idee gewesen, einige der Panzerwesten mit einem roten Kreuz zu bekleben. Die langsam erwachenden Geiseln merkten dadurch nicht, dass diese Männer keine Verwundeten abtransportierten, sondern Leichen.
Dr. Kusnezow hatte die Risikogruppen klar umrissen: die Alten und die Hochschwangeren, von denen jedoch nur wenige zu erwarten waren. Die Herzkranken. Die Übergewichtigen.
Und die völlig Besoffenen.
Aus der letzten Gruppe gab es die meisten Opfer.
18:50 Uhr
Das zweite Fax kam an dieselben Nummern. Und wieder ohne Anschlusskennung. Nur der Text war diesmal sehr viel kürzer.
Er erinnerte in knappen Worten an das Ultimatum. In dreißig Minuten musste die Bereitschaftspolizei in der Lage sein, zu verhindern,
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