Oktoberfest
Art, Befehle zu erteilen, dachte der Pilot. Deshalb wagte er es, auf das obligatorische »zu Befehl« zu verzichten.
»Danke für den Tipp, Herr Kapitän. Ich werde Ihren Gruß ausrichten. Was zu essen wäre jetzt nicht schlecht. Sie wissen ja: Ohne Mampf kein Kampf.« Der Pilot grinste zurück.
»Nichts zu danken. Ich melde mich wieder.« Der Kapitän hob grüßend zwei Finger an die Stirn.
»Gott schütze uns vor Feind und Wind …«, begann er.
»… und vor dem ungewollten Kind!«, ergänzte der Pilot. Härter zwinkerte dem Marineflieger zu, schloss die Tür des Helikopters und ging auf den Wagen zu, der ihn zum Flughafenterminal bringen sollte. Hinter ihm kamen die Turbinen des Sea Lynx orgelnd auf Touren.
Der Grenzschutzbeamte, der den BKA-Mann namens Müller von dem Hubschrauber abholen sollte, wunderte sich. Nicht nur darüber, dass offensichtlich ein Zivilist aus einer Militärmaschine ausgestiegen war. Nein, noch eine andere Frage beschäftigte den Mann: Was um alles in der Welt hatte ausgerechnet die Marine mitten in der Nacht in Augsburg zu suchen?
Als Härter das kleine Flughafengebäude durchquerte, stieß er überall auf Wartende. Viele hatten keine Hotelzimmer mehr bekommen. Und die Busse, die Fluggäste zu anderen Unterbringungen transportierten, hatten viel zu geringe Kapazitäten, um so viele Personen aufzunehmen.
Angestellte des Flughafens gaben Kaffee und Tee sowie heiße Suppe und Bockwürste aus. Die gestrandeten Reisenden saßen auf den Stühlen in den Wartebereichen oder hatten sich auf ihre Gepäckstücke gesetzt. Die Rucksacktouristen waren am besten dran. Sie hatten ihre Schlafsäcke ausgerollt und schliefen. Das Ganze erinnerte an ein Feldlager.
Sein Wagen war noch nicht da. Die Autobahnen von und nach München waren völlig verstopft.
In Richtung Stuttgart versuchten viele, die am nächsten Morgen einen Termin hatten und deshalb aus München weg mussten, den dortigen Flughafen zu erreichen.
In der anderen Richtung reihten sich Konvois der baden-württembergischen Bereitschaftspolizei, des THW und Rettungswagen zu einem Lindwurm aneinander. Über viele Kilometer sah man den rotierenden Schein der Blaulichter durch die Nacht streichen.
Der Fahrer hatte ihn über Funk im Hubschrauber erreicht und gesagt, dass er über Landstraßen fahren müsse und vermutlich erst gegen drei Uhr den Flughafen erreichen würde. Das passte dem Kapitän sehr gut, denn er war hungrig.
Er ließ sich einen Teller Linsensuppe und drei heiße Würstchen geben, setzte sich an einen der Tische in der Wartehalle und aß. Die Halle summte von aufgeregten Gesprächen.
Wolfgang Härter sperrte die Ohren auf.
So konnte er die Gerüchte und Geschichten hören, die hier die Runde machten. Der Klang der Stimmen reichte ihm, um zu bemerken, dass die Menschen Angst hatten. Mutmaßungen über die Täter wurden geäußert. Auch der Grund für die Geschehnisse rief ein großes Rätselraten hervor. Fast jeder der Anwesenden kannte jemanden, der sich noch auf der Theresienwiese befand.
Er tunkte eine Bockwurst in den Klecks scharfen Senf auf dem Pappteller. Die Würstchen schmeckten hervorragend, frisch und knackig, wie sie sein mussten.
Im Stimmengewirr schnappte Wolfgang Härter ein Wort auf, an das er selbst noch gar nicht gedacht hatte. Ein Wort, das eine kurze Hitzewelle durch seinen Körper laufen ließ. Ein Wort, das unbedingt von der Öffentlichkeit fernzuhalten war. Ein Wort, dessen Gehalt gleichwohl dringend überprüft werden musste.
Für Sekunden hielt er mit dem Kauen inne.
Atombombe.
*
Amelie Karman schreckte hoch.
Das Telefon klingelte. Desorientiert sah sie auf den Digitalwecker auf ihrem Nachttisch. Es war halb vier morgens. Wer konnte das sein? Dann durchfuhr es sie wie ein Blitz: Werner!
Sie stand auf und taumelte, so schnell ihre schlaftrunkenen Bewegungen das zuließen, zum Telefon ins Wohnzimmer. Sie nahm ab und ließ sich in das Sofa fallen.
Es war nicht Werner Vogel.
Es war der Chefredakteur aus Hamburg.
»Guten Morgen, Frau Karman. Bitte entschuldigen Sie die ungewöhnliche Uhrzeit. Wir haben hier die Nacht mit Redaktionssitzungen zugebracht. Alle waren von Ihrem Artikel sehr angetan. Und auch von der Schlagzeile.« Der Chefredakteur räusperte sich. »Gute Arbeit!«
Bei diesen Worten röteten sich ihre Wangen vor Stolz.
»Danke. Ich freue mich natürlich, dass Ihnen meine Arbeit gefallen hat. Warum rufen Sie jetzt an? Was kann ich tun?«
»Wir planen für morgen eine
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