Oktoberfest
dem »Spielplatz«, die Stellung hielten, zwanzig Bilder zur Überprüfung.
Das Gesicht des Mannes war leider auf keinem der Bilder vollständig zu erkennen.
Eine biometrische Analyse war nicht möglich.
*
Alois Kroneder war müde und niedergeschlagen. Seit mehr als zehn Stunden koordinierte er die Polizisten und Hilfskräfte auf dem Oktoberfest. Die Erschöpfung allein wäre nicht so schlimm gewesen. Kroneder war ein belastbarer Mann.
Nervenstark und kaffeegestählt.
Aber die zweitausend Opfer, die tot in der Fischer-Liesl lagen, hatten nach einer Welle des Zorns tiefe Hoffnungslosigkeit in ihm ausgelöst. Dann hatte er die Nachricht vom Tod Thomas Aschners erhalten.
Er hatte Aschner gut gekannt. Sehr gut sogar. Er war der Patenonkel eines seiner Kinder.
Gewesen, setzte er in Gedanken hinzu. Gewesen. Zischend ließ er die lang angehaltene Luft aus dem Brustkorb entweichen.
Alois Kroneder war kurz davor, schlappzumachen.
Es klopfte.
Langsam hob er den Kopf.
Die Tür zu seinem Büro wurde geöffnet und Ulgenhoff streckte seinen Kopf herein.
»Herr Kroneder, da ist ein Herr vom BKA, der Sie gerne sprechen möchte.«
»Ah, die hohen Herren aus Wiesbaden lassen sich blicken. Schicken Sie ihn herein.« Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit.
Als der Besucher den Raum betrat, konnte Kroneder sein Erstaunen kaum unterdrücken. Der Mann sah so ganz anders aus als die BKA-Leute, die er bislang kennengelernt hatte.
Das war keiner der üblichen Bürokraten. Die Figur des Mannes, die sich unter dem klassisch geschnittenen, dunkelblauen Anzug abzeichnete, war eher die eines austrainierten Leistungssportlers.
Zehnkämpfer vielleicht.
Oder Schwimmer.
»Guten Morgen, Herr Kroneder. Wenn man unter diesen Umständen von einem guten Morgen sprechen kann. Müller ist mein Name.« Der Mann sprach Hochdeutsch. Er streckte seine rechte Hand zur Begrüßung aus. Der kräftige Händedruck hatte etwas Beruhigendes. Unterschwellig wirkte der Mann auf Alois Kroneder jedoch zugleich seltsam bedrohlich.
Er war auf der Hut.
Das lag an den Augen des Mannes. Während sie Kroneder fixierten, hatte er den Eindruck, als ob diese Augen ein Eigenleben hätten. Ein lodernder Blick.
Blaues Feuer.
»Nehmen Sie Platz, Herr Müller. Ich werde Sie kurz auf den neuesten Stand bringen. Und dann bin ich gespannt zu hören, wie Sie weiter vorgehen wollen. Welche Schritte planen Sie? Was haben Sie vor?«
»Eins nach dem anderen. Zunächst hätte ich eine einfache Frage: Haben Sie einen Geigerzähler zur Verfügung? Wir sollten das Benediktiner-Zelt auf Strahlungsquellen hin überprüfen.« Härters Stimme klang ruhig.
»Einen was? « Kroneder war für Sekunden völlig verblüfft. Doch nach und nach begriff er, was die Frage seines Besuchers bedeutete. Er senkte den Kopf und schlug die Hand vor die Augen, was den Ausdruck grenzenlosen Erschreckens in seinem Gesicht jedoch nicht verbergen konnte.
Die Frage bedeutete …
Entsetzlich.
»Einen Geigerzähler. Sie wissen schon. Man misst radioaktive Strahlung damit.«
»Ja, inzwischen habe ich verstanden.« Kroneders Stimme war plötzlich brüchig. »Ich werde das sofort in die Wege leiten.« Der Polizist griff zum Telefon. Nachdem er die Anweisung erteilt hatte, das Benediktiner-Zelt mit einem Geigerzähler zu kontrollieren, wandte er sich wieder seinem Besucher zu.
Das Gesicht des BKA-Mannes namens Müller zeigte keine Regung.
»Und jetzt?«, fragte Kroneder. Die Verunsicherung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Jetzt sagen Sie mir erst mal, was hier in der letzten Stunde passiert ist.«
Kroneder holte tief Luft.
»Ja, natürlich. Also: Die ABC-Abwehr des Bundesgrenzschutzes und des Technischen Hilfswerks hat den Tatort untersucht. Sie behaupten, mittlerweile sei der Wirkstoff zerfallen. Aber solange die selbst ihre Schutzanzüge nicht ausziehen, habe ich nicht vor, auch nur einen weiteren Mann in dieses Zelt zu schicken.«
»Das ist vernünftig. Haben sie den Wirkstoff schon analysiert?«
»Das scheint schwierig zu sein.« Kroneder blätterte in einer dünnen Akte, die auf seinem Schreibtisch gelegen hatte. Dann zeigte seine Miene an, dass er gefunden hatte, was er suchte. »Aber die Stoffklasse haben sie bestimmen können. Es handelt sich um Phosphorsäureester. So steht es jedenfalls in einem vorläufigen Bericht des mobilen Labors. Nicht, dass mir das etwas sagen würde.«
»Aber mir sagt das was.« Der Kapitän brach ab. Für Kroneder sah es so aus, als hätte sein
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