Oktoberfest
Sonderausgabe. Am Abend. Bundesweit. Über die neuesten Entwicklungen. Wir möchten, dass Sie weiterhin vom Geschehen auf dem Oktoberfest berichten. Zapfen Sie Ihre Münchner Kanäle an. Wir erwarten Ihren Bericht bis zwölf Uhr.«
»Aber es ist eine Nachrichtensperre verhängt worden. Die offiziellen Stellen geben keinerlei Informationen mehr an die Presse weiter. Wir hängen in der Luft.«
»Das hat einen guten Journalisten noch nie aufgehalten. Dann müssen wir uns eben auf inoffizielle Stellen berufen. Jetzt schlafen Sie erst mal noch ein bisschen. Ich wollte Ihnen das nur gleich sagen, damit Sie sich darauf einstellen können.«
»Das, äh, ehrt mich«, begann Amelie etwas ungeschickt. »Ich will sehen, was ich tun kann. Ich melde mich wieder bei Ihnen.«
»Das hoffe ich. Bis später, Frau Karman. Wir zählen auf Sie.«
Dann legte der Chefredakteur auf.
Der Mann hat ja Nerven, dachte Amelie. Wie sollte sie denn nach so einem Anruf einfach weiterschlafen? Sie dachte nach. Wie sollte sie die Geschichte aufziehen? Wen konnte sie anrufen? Wen kannte sie, der ihr vielleicht zusätzliche Informationen geben konnte?
Einige Minuten saß sie in Gedanken versunken auf dem Sofa, bis ihr plötzlich ein Name einfiel. O ja, sie würde doch noch ein wenig schlafen können. Morgen früh um sieben würde sie den Mann anrufen. Der würde sicher irgendetwas erzählen. Der Mann redete nämlich ausgesprochen gerne mit der Presse. Und er kannte sich mit dem Oktoberfest aus wie kein zweiter.
Josef Hirschmoser.
*
Morgens um kurz nach vier passierte der dunkelblaue Fünfer-BMW mit dem BKA-Mann namens Müller die Stadtgrenze von München. Der Fahrer kannte sich sehr gut aus und hatte seinen schweigsamen Fahrgast über viele Schleichwege in die bayerische Landeshauptstadt gebracht. Mehrere Male hatte sein Passagier in ein merkwürdig aussehendes Mobiltelefon gesprochen.
Härter schaute aus dem Fenster. Die Stadt lag da, als wäre nichts geschehen. Es waren vielleicht ein paar Polizeiwagen mehr als sonst zu sehen. Aber nichts wirklich Außergewöhnliches.
Er wandte sich an seinen Fahrer.
»Ist es überall in der Stadt so ruhig?«
»O nein! Die Hauptstraßen sind völlig verstopft. Auch haben wir erste Meldungen über nächtliche Unruhen in den Stadtteilen Perlach und Milbertshofen.«
»Soziale Brennpunkte?«, fragte Härter knapp.
Der Fahrer nickte. »Ja. Aber zum Glück kommen jetzt die Polizisten aus Baden-Württemberg, um die hiesigen Kräfte zu unterstützen. Es ist nichts vorgefallen, was einem ernsthaft Sorgen bereiten müsste.«
Nach einer Pause von mehreren Minuten, in der sich der Fahrer geschickt durch ein Gewirr kleiner Straßen bewegte, hob der Kapitän wieder zu sprechen an.
»Was hat sich in der Frage meiner Unterbringung ergeben?«
»Zunächst war für Sie ein Zimmer im Gästehaus der bayerischen Staatsregierung vorgesehen. Das hat aber irgendjemand abgelehnt. Viel zu öffentlich und auffällig, hieß es. Danach haben wir übernommen. Es war gar nicht so einfach, ein freies Bett für Sie zu organisieren. Doch wir haben ein kleines Innenstadthotel gefunden. Da sind einige Reservierungen für heute abgesagt worden. Die Gäste können die Stadt ja per Flugzeug nicht mehr erreichen. Außerdem wollten die meisten eh auf die Wiesn. Und das fällt wohl bis auf weiteres flach.«
»Nicht für mich. Ich würde Sie bitten, mich gleich zur Theresienwiese zu fahren. Ich möchte mir die Sache unverzüglich selbst ansehen, bevor ich mich ein wenig ausruhe. Meinen Sie, das ist möglich?«
»Möglich schon. Aber es wird eine ganze Weile dauern. Um die Theresienwiese herum ist alles von Fernsehsendern und Polizei zugestellt. Wir werden einige Zeit brauchen, um dorthin zu gelangen.«
»Auch um diese Uhrzeit? Na ja, wir haben wohl keine andere Wahl.« Eine Pause folgte. »Ist mein Gepäck schon da?«
»Nein, noch nicht. Wird aber sofort in Ihr Hotel gebracht, wenn es eintrifft.«
»Sehr gut. Und jetzt möchte ich zur Theresienwiese.«
*
Je mehr sich der Wagen dem Festgelände näherte, desto gespenstischer wurde die Szenerie. Die Lichtkegel starker Scheinwerfer schnitten durch die Dunkelheit. Straßensperren der Polizei leiteten den Verkehr um. Kamerawagen mit Hebebühnen standen an den Metallzäunen und versuchten, Bilder von der Theresienwiese aufzunehmen. Auf dem Bavariaring reihten sich die Rettungswagen aneinander.
Auch die Polizisten, die im Einsatz waren, sahen in der Nähe des Oktoberfestes martialischer aus.
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