Oktoberfest
entdeckt. Und Härters Befürchtungen waren bestätigt worden. Moderne Dinger. Militärische Technik. NATO-Material. Doch ihre Pläne waren offenbar detaillierter als die der Täter. Bislang hatten sie immer eine Ausweichroute gefunden.
Momentan befanden sie sich in einem längeren geraden Abschnitt eines der Hauptkanäle. Sie konnten sogar aufrecht gehen.
Die Wolke des Sprühnebels erschien vor seinen Augen bläulich im Infrarotbild. Er schaltete zurück auf Restlichtverstärkung. Auch jetzt konnte er die Männer nur schwer erkennen. Die Oberflächen ihrer Overalls waren reflexfrei. Sie verschluckten das Licht förmlich.
Er ahnte die Männer mehr, als dass er sie sah. Sie waren nur schwarze Schatten an der Wand.
Härter war voll konzentriert. Seine Sinne waren bis auf das äußerste geschärft. Unentwegt glitten seine Augen über Wände und Boden, tastend untersuchte er Unebenheiten.
War hier vor kurzem etwas verändert worden? Denn die Täter waren hier unten gewesen. Zweifellos. Bislang hatte er zwar noch nichts entdecken können, aber wozu sollten die Täter sonst die Lichtschranken angebracht haben?
Er bemerkte, wie der Truppführer die Faust hob. Das Zeichen für die Männer, stehen zu bleiben. Härter erinnerte sich. Die Pläne der Kanalisation tauchten vor seinem inneren Auge auf. Da vorne musste eine Leiter sein. Die höher gelegene Röhre würde erst mit Spiegeln auf eventuelle Sprengfallen gecheckt werden. Und dann mussten sie zweihundert Meter auf dem Bauch kriechen. Danach wieder eine Leiter runter.
Weiter durch einen halbhohen Gang.
Wasserführend.
Nur gebücktes Gehen möglich.
*
War da etwas?
Hauptmann Tomjedow, der diensthabende Waffensystemoffizier, sah auf seine Bildschirme. Es war das zweite Mal, seit Okidadse sich schlafen gelegt hatte, dass er irritiert auf seinen Infrarotbildgeber sah. Tat sich da irgendwas in der Kanalisation? War es so weit? Aber er konnte nichts erkennen, das einen Alarm gerechtfertigt hätte. Es gab keinen Grund, den Oberst zu wecken.
Ihm war so, als ob er die Umrisse von zwei Beinen gesehen hätte, vor dem Blau eines Kaltluftrohres. Doch die Umrisse waren sofort verschwunden. Langsam schüttelte er den Kopf und überprüfte den Status der Lichtschranken.
Alles in Ordnung.
Anschließend ging Hauptmann Tomjedow die Aufzeichnungen der Radarsensoren noch mal durch. Keine Auffälligkeiten. Halt, was war das? Nein, das konnte nichts Gefährliches sein. Zu klein. Wahrscheinlich ein paar von diesen widerwärtigen Ratten. Ekelhafte Viecher!
Von denen gab’s da unten jede Menge.
*
Stefan Meier verließ den kleinen Arbeitsraum, um eine Zigarette zu rauchen. Er streckte sich, schüttelte Arme und Beine aus, und mit kreisenden Bewegungen des Kopfes versuchte er, die Verspannung im Nacken zu lockern. In seinen Gedanken lösten trotziger Kampfesmut und realistische Einschätzung einander ab.
Mittlerweile hatten sie das Funksystem der Täter angepeilt.
Das war schneller gegangen als gedacht. Euphorie hatte sich bei ihm und seinen beiden Assistenten breitgemacht. Sein Respekt vor diesem Müller war noch gewachsen. Wo auch immer der Mann diese Jungspunde aufgetrieben hatte, die beiden wussten, was sie taten. Stefan Meier hätte sie sofort eingestellt.
Ihre Euphorie war jedoch schnell verflogen. Erste Muster der Verschlüsselung hatten sie isolieren können. Und diese Muster hatten ihnen gezeigt, dass sie mit einem gewaltigen Problem konfrontiert waren. Die Technik der Täter war mehr als zeitgemäß. Wenn es überhaupt gelingen würde, die Algorithmen zu knacken, würde das ein hübsches Stück Arbeit werden. Und es würde Zeit brauchen. Ein Schnellschuss war damit so gut wie ausgeschlossen.
Verdammter Mist!
Ein heftiger, kühler Windstoß fuhr durch den Gang, als Polizeihauptmeister Ulgenhoff die Tür öffnete und die Wiesn-Wache betrat. Der senkrecht aufsteigende Rauch von Meierinhos Zigarette wurde seitlich weggerissen. Verwundert sah er den Beamten an.
»Was ist denn da draußen los? Wo kommt denn der Wind auf einmal her? Wieso ist es so kalt?«
»Na, Sie scheinen seit längerem nicht mehr vor der Tür gewesen zu sein, Herr Kollege. Das Wetter verschlechtert sich rapide. Da draußen hat es gerade noch acht Grad. Das Barometer befindet sich im freien Fall. Eine Gewitterfront von Westen. Schöne Scheiße. Wenn man den Wetterfröschen glauben kann, dann steht uns in dieser Nacht noch ein schweres Unwetter bevor.«
10
Wien, Februar 2004
S eit der gestrigen Nacht
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