Oktoberfest
menschlichen Geistes, Werkzeuge und Maschinen zu erschaffen, die es ermöglichten, seinesgleichen effizient und in großer Zahl zu töten, war die AIM-64 sicherlich eine der grausamsten Spitzenleistungen.
Technik gewordene, pure Bösartigkeit.
Seit die Menschheit existiert, führt sie Kriege. Der Krieg ist der Vater aller Dinge , hatten bereits die alten Griechen formuliert.
Heraklit, wenn er sich richtig erinnerte.
Und wenn dem so war, dann war die AIM-64 eines der unheiligsten Kinder dieses Vaters.
Die AIM war an der Rückseite des Kastens angebracht. Der Kasten selbst war nur der Auslöser. Funktionierte vermutlich über Funk. Wäre es ein Erschütterungs- oder Bewegungszünder gewesen, dann wäre er jetzt bereits tot.
Die AIM-64 sah aus wie ein schwarzes Ei, nur etwas größer und in die Länge gezogen. Bei den Pionieren wurde sie deshalb auch das »Überraschungsei des Teufels« genannt. Während ein Schaudern seinen Rücken heraufkroch, rekapitulierte er reflexhaft die Daten. Eine Folge seiner Ausbildung.
AIM-64.
Anti-Infanterie-Mine.
Gefechtsfeld- und Rückraumwaffe. Auslösemechanismus frei wählbar. Zugdrähte. Lichtschranken. Erschütterung. Bewegung. Wärme. Radar. Licht. Funk. Überall anzubringen. Decken. Wände. Boden. Kunststoffkonstruktion. NATO-Technologie.
Bevor die Dinger explodierten, sprangen sie vom Boden einen Meter dreißig in die Höhe, ließen sich von der Decke fallen oder schnellten von der Wand seitlich in den Raum. Dann folgte die Detonation, die Splitter und Feuer in alle Richtungen schoss.
Wirkungswinkel dreihundertsechzig Grad.
Keine Möglichkeit, irgendwo in Deckung zu gehen. Tausende von rasiermesserscharfen Splittern wurden mit ungeheurer Geschwindigkeit durch die Luft gejagt. Die Splitter selbst bestanden aus mit Teflon beschichteten Titanspänen. Nichts hielt dem stand.
Kein Helm.
Keine Schutzweste.
Nichts.
Sein Blick fiel auf einen kleinen weißen Aufkleber, der an der AIM angebracht war.
Jemand hatte etwas darauf geschrieben, aber er konnte die Schrift nicht entziffern. Zu dunkel. Er erhöhte die Leistung seiner Brille. Die Buchstaben wurden schärfer. Jetzt konnte er die Aufschrift lesen.
Ein Wort und eine Zahl.
Handschriftlich.
Kyrillisch.
*
Oberst Okidadse hatte nicht sonderlich gut geschlafen und wirres Zeug geträumt. Aber das kannte er schon. Das war für ihn nichts Ungewöhnliches im Feld. Er war dennoch erholt und guter Laune, als er in den Kommandostand zurückkehrte. Seit einigen Minuten ging er gemeinsam mit Tomjedow die Protokolle der letzten Stunden durch.
»Haben Sie die beobachteten Auffälligkeiten auch akustisch überprüft?«, fragte Okidadse.
»Nein, Polkownik. Das habe ich nicht für nötig gehalten. Was sollte das sein, das Radargeräte und Infrarotsensoren überlisten kann? Die Reaktion der Sensoren war minimal. Ich schätze mal, das waren welche von diesen widerlichen Ratten.«
Hauptmann Tomjedow hatte es für überflüssig gehalten, Mikrofone in der Kanalisation anzubringen. Aber Okidadse hatte die Montage eines akustischen Systems befohlen. Das ist mal wieder typisch für diese alten Männer mit ihren bescheuerten Erfahrungswerten, dachte sich Tomjedow.
Mikrofone waren eine uralte Technologie. Die neue Technik war diesen alten Sachen weit überlegen. Doch er hatte den Befehl befolgt und war mit einigen Kameraden ein zusätzliches Mal in die Kanalisation hinabgestiegen. Es stank dort. Sie hatten Dutzende getarnter Stereomikrofonpaare in den Kanälen installiert. Das Schlimmste waren die Ratten gewesen.
Tomjedow schüttelte unbewusst den Kopf. Er führte Okidadses Befehle ohnehin bloß widerwillig aus. Für ihn hatte die ganze Operation nur einen wahren Befehlshaber: Oberst Iljuschin. Schon in der Anfangsphase der Vorbereitungen hatte er sich für Iljuschin und seinen alternativen Plan entschieden. Tomjedow war jedoch klar, dass sein direkter Vorgesetzter davon nichts mitbekommen durfte.
»Ein Roboter zum Beispiel«, seufzte Oberst Okidadse.
Tomjedow schluckte. »Oh, daran hatte ich … gar nicht gedacht«, stammelte er entschuldigend.
Unvermittelt brüllte Okidadse ihn aus vollem Halse an. »Daran haben Sie nicht gedacht? Aha! Ich habe den Eindruck, dass Denken ohnehin nicht zu Ihren Stärken zählt. Deshalb werden Sie jetzt auch nicht denken, sondern genau das tun, was ich Ihnen sage. Sie werden jetzt das akustische Material auswerten. Nach der bewährten Methode: Nehmen Sie einen FFT-Fingerprint von den archivierten
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