Oktoberfest
das Papier des Plans. »Trupp Blau wird unter den Toiletten ankommen. Entweder Sie bohren ein Loch durch den Boden, oder Sie bekommen den Hals der Kamera durch den Abfluss der Waschbecken, Pissoirs oder Kloschüsseln.« Einige der umstehenden Männer mussten ein Lachen unterdrücken.
»Was für ein Scheißjob«, platzte schließlich einer heraus. Gelächter folgte.
»Die Farben der Trupps werden ausgelost«, sagte Hartmut Rainer mit erhobener Stimme.
Das Gelächter erstarb augenblicklich.
»Was Sie betrifft, Herr Müller«, fuhr der Kommandeur der GSG 9 fort, »Ich habe Sie bereits fest eingeplant. Sie bilden die Nachhut von Trupp Blau. Alles klar?«
Härter wandte den Kopf von den Plänen ab und sah Hartmut Rainer an. Dann nickte er müde. »Alles klar, Herr Rainer. Jede andere Entscheidung von Ihnen wäre eine ziemliche Überraschung gewesen.«
22:25 Uhr
Kurz vor Beginn der Tagesthemen ließ Dr. Roland Frühe eine Presseerklärung verbreiten. Darin wurde erstmals offiziell bestätigt: Bei den Vorgängen in München handelt es sich um eine Geiselnahme. Das Außenministerium hat mit der Erstellung einer Namensliste sämtlicher Geiseln begonnen. Den Geiseln geht es gut. Sie werden medizinisch betreut und haben ausreichend Lebensmittel. Die Bundesregierung tut alles, um das Leben der Geiseln zu schützen.
Die Meldung, auf dem Oktoberfest habe es zweitausend Tote gegeben, blieb unkommentiert. Für den nächsten Morgen wurde eine Pressekonferenz des Regierungssprechers angekündigt.
*
Alles fließt.
Heraklit, wenn er sich richtig erinnerte.
An seine Ohren drang die ganze Bandbreite der Geräusche fließenden Wassers: das dumpfe Rauschen der träge dahintreibenden, schmutzigen Brühe des Hauptkanals. Das hellere Sprudeln der kleineren Kanäle, die seitlich in den Hauptkanal mündeten. Das Plätschern kleiner Rinnsale, die an den bemoosten Wänden herabliefen. Das Klatschen einzelner Tropfen, großer und kleiner, die von der Decke fielen und auf den feuchten Boden oder in das Wasser der Kanäle schlugen.
Seine Schritte schmatzten auf dem nassen Betonboden. Der Kapitän lauschte angestrengt, ob er noch etwas anderes hören konnte. Außer dem allgegenwärtigen Fließen und Tropfen.
Durch den Hall und das dauernde Wasserrauschen war es jedoch unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung ein bestimmtes Geräusch kam.
Die Männer trugen Kopfhörer und Kehlkopfmikrofone und sprachen im Flüsterton miteinander. Doch schon der leiseste Zischlaut erzeugte sofort eine Hallfahne.
An den Wänden brachen sich die Echos.
Die Atemmaske hing um seinen Hals. In Sekunden könnte Härter sie aufsetzen. Er hatte das Angebot, eine MP 5 mitzunehmen, abgelehnt. Seine Glock mit Schalldämpfer und aufmontierter Laservisieroptik trug er im Brustholster.
Ein fauliger Geruch durchströmte die Kanäle. Aus manchen der kleineren wehte unglaublicher Gestank in den Hauptkanal herein.
Er schaltete seine Brille von Restlichtverstärkung auf Infrarot um. Ohne diese Brille hätte er kaum die Hand vor Augen sehen können. Die Beamten des Trupps Blau, die sich vor ihm befanden, waren dennoch nur schwer zu erkennen. Nahezu unsichtbar. Und das auf so kurze Entfernung. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht.
Diese Black-Hole-Anzüge waren wirklich erstaunlich. Sie passten ihre eigene Temperatur ständig der Umgebung an. Kein Wärmebild. Ihre Oberfläche war ionisiert. Kein Radarecho. Die Zentraleinheit des Tarnanzugs brummte leise an seinem Gürtel. Er spürte mehr die Vibrationen, als dass er etwas hätte hören können.
Seit fast einer Stunde war er gemeinsam mit den fünf Beamten des Trupps Blau in der Dunkelheit unterwegs. Die vollkommene Lichtlosigkeit ließ eine leichte Beklemmung in ihm aufsteigen.
Und sie hatten gerade mal ein Drittel des Weges geschafft.
Aber das war im Plan auch nicht anders vorgesehen. Allen war klar, dass sie nur sehr langsam vorankommen würden. Genauigkeit war das Wichtigste, wenn sie Erfolg haben wollten, denn sie durften nichts übersehen.
An der Spitze des Trupps arbeiteten sich drei Beamte vor. Der mittlere trug ein dünnes Rohr in der Hand. Die elektronischen Kampfstoffsensoren links und rechts neben der Spitze waren nach vorne gerichtet. Die beiden anderen Männer deckten ihn mit schallgedämpften Maschinenpistolen. Aus der Spitze des dünnen Rohres schoss in kurzen Intervallen ein feiner Sprühnebel hervor. Damit konnten sie eventuelle Lichtschranken sichtbar machen.
Zwei hatten sie schon
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