Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
Vom Netzwerk:
grinsend eine Rolle Küchenkrepp überreicht und gesagt habe, daß die - auf Quadratmeter gerechnet -leicht für meine Schuld reicht, hat er mir ganz verzweifelt wütend vor die Füße gespuckt.
    Warum er sich heuer im Herbst trotzdem wieder neben mich gesetzt hat, ist mir ein Rätsel.
    Weil mir der Axel die Zeitungsseite also nicht abgab, ließ ich sie in der großen Pause vom Schulwart kopieren. Damit ich für die Kopiererbenutzung nichts zahlen mußte, sagte ich dem Schulwart, die Dr. Naderer, unsere Deutsch-Lehrerin, habe mich mit dem Wisch geschickt. Der Schulwart machte dreißig Abzüge von der Zeitungsseite, da er annahm, die Dr. Naderer brauche sie als "Klassenlektüre".

    Die Meldung, die mir so viel Aufwand wert war, lautete:
    - 8 -

    NEW YORK/USA
    Das amerikanische Psychologenehepaar Dr. Marga und Dr. Dr. Hiob Goldman haben in einer großangelegten Studie an 3000 Versuchspersonen bewiesen, daß Kinder, die ausschließlich von männlichen Personen betreut und erzogen werden, einen wesentlich höheren Intelligenzquotienten aufweisen als Kinder, die von Frauen betreut und erzogen werden.

    Diese Meldung fand ich deswegen wichtig für mich, weil ich gerade in einer Krise war. Besser gesagt: Alle erwach-senen Wappler um mich herum machten mir eine Krise.
    Primär war das eine Latein-Mathe-Englisch-Krise. Sekundär entstand dadurch eine häusliche Klage-Keif-Droh-Bitt-Krise. Und erst tertiär fühlte ich mich deswegen tierisch mies. Vordergründig rührte mein Miessein natürlich daher, daß ich seit Monaten keine Erfolgserlebnisse mehr aufweisen konnte, aber besinne ich die Sache tiefer, muß ich zugeben, daß mich meine Erfolglosigkeit auf dem schulischen Sektor überhaupt nicht störte. Ich war gar nicht happig auf Erfolgserlebnisse! Mir waren meine Noten so scheißegal, daß ich mich bei der letzten Latein-Arbeit nicht einmal nach dem Schwindelzettel gebückt habe, den mir die Anette zugeworfen hatte.
    Am liebsten hätte ich mir einen langen, weißen Bart wachsen lassen - nur leider habe ich noch keinen Bartwuchs -
    und mich in ein Altersheim eingeschmuggelt. Dort im Lehnstuhl zu sitzen, mit geschlossenen Augen und über dem Bauch gefalteten Zitterhänden, ganz ohne Besuch und Zuspruch, nur so vor mich hindösen und dämmern, und
    - 9 -
    dreimal am Tag vom Pfleger ein Supperl, das war mein Traumziel! Nach mehr sehnte ich mich nicht! Und größeren Anforderungen fühlte ich mich auch nicht gewachsen.
    Da ich aber keine Ahnung hatte, wie sich ein vierzehnjähriger Knabe in ein Altersheim einkaufen soll, versuchte ich meine Krise mit der kopierten Meldung wenigstens etwas zu mildern. Am Nachmittag umrandete ich die Botschaft aus NEW YORK/USA auf allen dreißig Kopien dick mit rotem Filzschreiber. Dann heftete ich drei der Zettel mit Reißzwecken an verschiedene Kasteltüren unserer Einbau-küche. Einen klebte ich an den Dielenspiegel, einen an die Tür vom unteren Klo, einen an den Spülkasten vom oberen Klo, einen an die Kacheln vom unteren Bad, einen an den Alibert vom oberen Bad. Je einen legte ich auf die Betten der Mama, der Oma, der Tante Fee, der Tante Truderl, der Tante Lieserl, der Andrea und der Doris. Die restlichen fünfzehn Stück fixierte ich mit Fixoband - um die Tapete nicht zu beschädigen, weil die ist neu - im Wohnzimmer an den freien Wandstücken.
    Tante Fee humpelte während der Zettelverteilerei hinter mir her und fragte andauernd: "Olfile, was tust denn da? Olfile, was steht denn da drauf? Olfile, was hast denn da rot einge-randelt?"
    Tante Fee ist die Schwester meiner Oma, meine Großtante also. Sie ist siebzig vorüber und humpelt seit einem Fahr-radunfall vor sechzig Jahren. Deswegen haben meine Schwestern, die Doris, die Andrea, und ich nie ein Fahrrad bekommen; damit wir nicht auch humpelnd durch ein langes Leben keuchen müssen.
    "Fee, lies es! Dann weißt es!" sagte ich freundlich zu Tante Fee. Aber Tante Fee liest nicht! Man muß ihr alles vorle-
    - 10 -
    sen. Früher einmal, bevor es noch Fernseher gegeben hat, hat sie wenigstens die Schlagzeilen in der Zeitung gelesen, sagt die Mama. Aber seit wir TV haben, schaut sie keinen Buchstaben mehr an. Doris meint, Tante Fee habe das Lesen garantiert schon verlernt. Ich hatte keine Lust, Tante Fee meine Meldung vorzulesen, denn von allen, mit denen ich zusammen eine Familie bin, betraf sie die Sache am wenigsten, weil sie mich relativ ungeschoren läßt; zumindest was Schulangelegenheiten betrifft.
    "Ist nicht weiter wichtig, Fee",

Weitere Kostenlose Bücher