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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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gehauchten, sehr zarten, sehr schönen Kuß. Dann lief sie weg. Ich schaute ihr nach, folgte ihr mit meinem Blick bis zur Eingangstür und sah dort, neben dem Verkaufspult, eine versteinerte Erbswurstsuppe stehen.
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    Leider verharrte die Erbswurstsuppe nicht im versteinerten Zustand. Kaum war die Joschi aus dem Laden, kam sie, so hurtig wie das in einem voll besetzten Lokal mit eng beiei-nanderstehenden Tischen nur möglich ist, zu mir her und ließ sich auf Joschis Stuhl plumpsen und sagte anklagend:
    »Ich beobachte euch schon zehn Minuten!«
    Ich wünschte, die Erbswurstsuppe möge verschwinden, sich in Luft auflösen, in den Boden versinken, wie eine Rakete durch die Decke schießen; jeder Abgang der Person wäre mir recht gewesen. Der sanfte, hauchzarte Joschi-Kuß hatte so ein wundersames Gefühl in mir hinterlassen. Das wollte ich ungetrübt durch irgendwen und irgendwas nachklingen lassen; so lange wie möglich. Die Erbswurstsuppe ließ das natürlich nicht zu. »Daß du so gemein bist, hätte ich nicht geglaubt«, sagte sie. Ihre Augen waren tränenfeucht. Ihr Kinn samt Unterkiefer zitterte.
    »So sag doch was!« rief sie, und Tränen kullerten über ihre Wangen, und Kinn samt Unterkinn bibberten, als sei sie viel zu lange in viel zu kaltem Wasser gewesen. Eine vernünftige, innere Stimme riet mir: Lenk nicht ein! Bleib stur!
    Dann hast du das Problem der Saison erledigt!
    Leider pflege ich auf meine inneren Stimmen selten zu hö-
    ren. Ich murmelte: »Hab dich nicht so! Es war ja gar nichts!«
    Damit hatte ich jede Chance auf einen glatten Bruch vertan.
    Die Erbswurstsuppe schniefte noch bißchen, borgte sich mein Taschentuch, beschneuzte es und gestand mir, rasend eifersüchtig zu sein, was mit dem ungeheuren Maß an Liebe für mich zusammenhinge. Und sie wisse schon, daß ein Wangenkuß ohne Bedeutung sei, noch dazu, wo nicht ich,

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    sondern das »aufdringliche« Mädchen geschmatzt habe. Sie bat mich, ihr den »Auftritt« zu verzeihen.
    Ich sagte gar nichts, und die Erbswurstsuppe nahm mein Schweigen als Vergebung, war wieder zufrieden wie ein frischgewickelter Säugling und erzählte mir von der Schule.
    Daß die letzte Stunde entfallen sei, nur darum habe sie so unvermutet hier auftauchen können. Und einen Grund für dieses Auftauchen hatte sie auch. Beim Jo war für den Nachmittag, weil seine Eltern verreist waren, eine Party angesetzt. Zu der, solle sie mir ausrichten, sei ich eingeladen.
    Ich lehnte ab. Ich müsse lernen, sagte ich.
    »Und wenn ich dich ganz schön bitte?« Die Erbswurstsuppe faltete auf Kleinmädchenmanier ihre Patschhände und kuschelte sich an mich. Sie roch nach Eibischzucker und Schweiß und fühlte sich an wie ein Rie-sen-Marshmallow. Mir wurde ein bißchen speiübel. Ich packte die Serviererin, die gerade vorbeihuschte, an den Schürzenbändern und flehte: »Zahlen, bitte!«
    Die Serviererin hatte ein Einsehen und ließ sich Geld aushändigen. Die Erbswurstsuppe schmollte. »Ich hab ja noch gar nichts bestellt«, klagte sie. »Du kannst ja noch dablei-ben«, sagte ich. Das lehnte sie natürlich entrüstet ab.
    Verbittert marschierte ich - mit der Erbswurstsuppe am Arm - zur Straßenbahnhaltestelle. Kaum daß wir dort waren, kam eine Zuggarnitur. Bummvoll waren die Waggons.
    Ich ließ der Erbswurstsuppe den Vortritt. Sie erklomm das Trittbrett und boxte sich ins Wageninnere durch. Ich zögerte ein bißchen, weil mir volle Straßenbahnen ein Graus sind, da klappte die automatische Wagentür zu, und die Straßenbahn fuhr ab.
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    »Besser als nichts«, murmelte ich, kehrte auf den Gehweg zurück und ging zu Fuß nach Hause.
    Der Samstag ist bei mir zu Hause ein hektischer Tag. Meine Damen stehen nämlich unter Wochenendstreß. An diesem Samstag nähte Doris an einem grasgrünen Ding herum, an dem angeblich irgend etwas falsch geschnitten war und ihr einen Riesenpopo erzeugte. Den Fehler wollte sie beheben.
    Mit der Andrea war sie böse, weil ihr die nicht hilfreich beistand. Dabei hätte ihr eine hilfreiche Andrea ohnehin nur den Stoff versaut, denn die Andrea war von den Stirnfran-sen bis zu den Knöcheln mit weißem Gatsch beschmiert.
    Der sollte Hautunreinheiten den Garaus machen.
    Die Mama telefonierte. Sie hat immer Angst, am Wochenende nicht »ausgelastet« zu sein. Dadurch ergibt es sich dann, daß sie jedes Wochenend »überlastet« ist. Soweit ich es den Telefongesprächen entnehmen konnte, versuchte sie einmal Theater, zweimal Kino, dreimal Tennis und

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