Olfie Obermayer und der Ödipus
könnten, wenn sie echt wollten, ausziehen. Doch mir unmündigem Wurm so zu kommen, ist mehr als unanständig. Daher bestrafte ich sie mit meinem gefürchteten Urschrei, der mir diesmal so markerschütternd gelang, daß er die gesamte Belegschaft des Hauses ins Wohnzimmer trieb. Wenn ich am Wut-schreien bin, kann ich nicht hören, was die anderen reden, dann sehe ich sie nicht einmal richtig, alles ist in mir auf den Schrei konzentriert. Erst als kein Fuzerl Luft mehr in mir war und der Schrei langsam ausklang, nahm ich die Damenrunde wieder wahr. Die Oma sagte: »Das Kind ge-hört doch behandelt!« Doris sagte: »Eine Watschen tat es auch!« Andrea sagte: »Das können nur die Nerven sein!«
Die Mama sagte gar nichts, und Tante Fee zeigte den anderen ihre zitternden Hände und greinte: »Immer wenn er so schreit, werd ich ganz bibberig! Ich glaub, mein Blutdruck steigt auf dreihundert!«
Nur Tante Truderl hatte Verständnis für mich. Wahrscheinlich, weil sie mit der Oma den Wäschestreit gehabt hatte.
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Sie legte einen Arm um meine Schultern und flüsterte mir zu: »Da kannst nichts machen! Sie ist alt und stur!«
Die Oma mag ja alt und stur sein, aber schwerhörig ist sie nicht. »Sag das ruhig laut!« rief sie. Und Tante Truderl wiederholte das Geflüsterte in Zimmerlautstärke. Und die Oma zieh sie wieder der Frechheit. Und Tante Truderl sagte, sie verwahre sich gegen das »Frechsein«, eine vierzig-jährige Frau, egal was sie sage, sei nicht »frech«. Die Oma solle sich ihre »Alt-Patriarchen-Art« schleunigst abgewöhnen. Die Mama und Tante Lieserl gaben Tante Truderl recht. Die Art der Oma, sagten sie, entrüste sie auch! Doris und Andrea schlugen sich, wahrscheinlich nur, weil es indi-rekt gegen mich ging, auf die Seite der Oma.
Wie der Streit ausging, weiß ich nicht, weil das Telefon klingelte und ich zu diesem hinwieselte. Ich hob ab, und eine Stimme, die ich zuerst gar nicht als die Joschi-Stimme erkannte, sagte: »Bitte, ich möchte den Wolfgang sprechen!«
»Der ist am Apparat«, sagte ich.
»Fein! Ich hab schon gedacht, die Nummer ist falsch, weil dauernd besetzt war!« Jetzt erkannte ich die Joschi-Stimme.
»Hast du etwas erfahren?« fragte ich.
»Eine ganze Menge«, sagte die Joschi, und ich bekam Herzklopfen. So einfach ist es schließlich nicht, einen toten Motorradfreak gegen ein lebendes Exemplar von Vater aus-zutauschen. Ich versuchte meiner Stimme einen lockeren Klang zu geben.
»Na, gibt's ihn oder nicht?« fragte ich.
Obwohl ich sonst in familiärer Öffentlichkeit nie rauche, nahm ich die Zigarettenschachtel, die neben dem Telefon lag und holte mir eine Zigarette heraus. Ich sog tief Rauch
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ein und harrte beklommen auf das, was die Joschi zu berichten hatte. Doch die berichtete nicht, sondern sagte: »Du, das ist eine lange Geschichte, und ich bin im Telefonhüttel, weil ich nicht wollte, daß sie bei mir zu Haus wissen, daß ich das jemandem erzähl, sonst fragen sie blöd. Und ich hab keinen Schilling mehr. Und kein Geld zum Wechseln.
Können wir uns nicht wo treffen?«
Ich hätte mich gern mit der Joschi im Muxeneder oder sonstwo getroffen, aber mein Taschengeld war alle, und die Mama um Vorschuß bitten wollte ich nicht. Weil ein absoluter Sonnentag war und unser Garten so groß ist, daß man dort ungestört wo sitzen kann, bat ich die Joschi, sie möge zu mir kommen.
Als ich das Telefongespräch beendet hatte, waren meine Hausdamen mit ihrem Streit auch schon fertig und wieder versöhnt. So was geht bei uns zu Hause schnell. Lang sind die Weiber nie miteinander verfeindet.
Ich erwartete die Joschi am Gartentürl. Und hätte ich geahnt, welches Aufsehen sie bei meiner Familie erregte, hät-te ich die Mama doch lieber um Geld angepumpt und wäre mit der Joschi in ein Lokal gegangen. Ganz aus dem Häuschen waren alle sieben Stück! Bisher hatten sie ja bloß die Erbswurstsuppe bei mir gesehen. Und die nahmen sie nicht als »Freundin«, sondern als Schulkollegin.
Ich hatte zum Gartentisch zwei Gläser und eine Schale mit Eiswürfeln getragen und zwei Colaflaschen dazuge-stellt.
Kaum hatte ich die Joschi zum Gartentisch geführt, und kaum hatten wir uns gesetzt, und kaum hatte die Joschi ihr lausgraues Strickzeug ausgepackt, tauchte der Kopf von Tante Fee zwischen den Jasminblüten auf. »Grüß Gott,
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grüß Gott, mein kleines Fräulein«, sagte sie und inspizierte die Joschi von Kopf bis Fuß. Und zu mir sagte die Fee:
»Olferle, du mußt deinem
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