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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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ich weiter! Die Nachmittags-Mädchenrunde half mir dabei, die war schon seit Jahren Stammgast im Lokal. Unauffällig brachte ich ein paarmal die Rede auf die Besitzverhältnisse in der Bäckerei und erfuhr, daß der alte Chef nur eine Tochter habe, die »Frau Chefin«, die ich schon beim ersten Besuch gesehen hatte, und daß die Frau Chefin einen Sohn hatte. Sechzehn war der Sohn, und Johannes hieß er. Das haute sichtlich hin!
    Von einem Schwiegersohn des alten Chefs, einem Mann der Frau Chefin und einem Vater des Johannes, hatte die Mädchenrunde noch nie etwas gehört. Und den Familien-namen der Chefin und des Johannes wußte man in der Mädchenrunde auch nicht. Ein Mädchen behauptete zwar, der Familienname der beiden sei »Scherbeutel«, aber das lehnte ich ab. Ein Vater mit Namen Scherbeutel war mir nicht vorstellbar!
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    Am Samstagvormittag kam ich gegen zehn Uhr ins Muxeneder. Alle Tische waren von hausfraulichen Damen besetzt, die Rast hielten, um sich für die zweite Halbzeit des Wochenendeinkaufs zu stärken. Die Joschi war bereits da.
    Ich setzte mich zu ihr. Die Joschi strickte. Einen Riesen-fleck in Lausgrau. Sie sagte, es sei der Rückenteil eines Pullovers. Ich fragte, ob sie den Pullover für ihren zwei Meter langen zweihundert-Kilo-Vater stricke. Die Joschi sagte, der Pullover sei für sie selbst, und sie stricke ihn deshalb so groß, damit er ihre Figur, die gar keine sei, komplett verdecke. Ich protestierte. Ich sagte, dicke Leute seien doch ein Graus, sie solle froh sein über ihre Zaunlattenfigur.
    »Du spinnst ja«, sagte die Joschi. »Da ist nichts zum Froh-sein! Kein Busen, keine Taille, keine Hüften, keine Waden!
    Nur ein Verdacht auf Magersucht! Dabei freß ich wie ein Scheunendrescher!«
    »Ich mag Busen nicht«, sagte ich. Das stimmte. Das war nicht bloß Höflichkeit. An der Erbswurstsuppe - zum Beispiel - schreckte mich die kompakte Oberweite besonders.
    Und was an der Vorderfront meiner Oma herumwabbelt, hat mich seit eh und je verstört.
    »Echt wahr?« fragte die Joschi. Ich nickte.
    »Dann bist eine Ausnahme«, sagte die Joschi. »Alle Bur-schen, die ich kenne, reden vom Busen, wenn sie von Mädchen reden. Und mein Papa sammelt heimlich Magazine mit nackten Frauen, die haben Brüste so groß wie Brotlaibe.
    Und mein Bruder, wenn der wo eine mit so einem Riesen-vorbau sieht, kriegt er Augen wie vor dem Christbaum!«
    »Blöd, find ich«, sagte ich.
    Die Joschi nickte. Sie war am Reden gehindert, weil sie die Maschen am lausgrauen Rückenteil abzählte. Und dann
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    ging ihr der Wollfaden aus. Sie holte einen Wollsträhn aus der Schultasche, legte ihn in den Schoß und fing an, den Faden auf ein Knäuel zu wickeln. Ich streckte meine Arme aus, auf daß die Joschi den Strähn darüber streifen möge; denn ungespannte Wolle verheddert sich beim Abwickeln.
    »Du bist echt eine Ausnahme«, sagte die Joschi und tat die Wolle über meine Arme. Sie behauptete, alle anderen Männer weigerten sich, als Wollhaspel herzuhalten, das sei ihnen zu unmännlich. Ich erzählte der Joschi, daß ich außer Mutter und Großmutter noch drei Tanten und zwei Schwestern habe und daß ich, quer durch mein junges Leben, garantiert schon für einen Waggon voll Wolle meine Hände dargeboten habe.
    »Und stricken kann ich auch«, sagte ich.
    »Gibt's nicht«, sagte die Joschi.
    »Na hör einmal«, protestierte ich. »Ich müßt ja ein kompletter Volltrottel sein, wenn ich vierzehn Jahre unter lauter strickenden Weibern leb und nicht wüßte, wie das geht! Ich hab mir schon mit acht Jahren einen grün-weißen Schal gestrickt. Damals war ich Rapid-Anhänger!« Um der Joschi zu zeigen, daß ich die lautere Wahrheit sprach, nahm ich ihr das Strickzeug aus der Hand. »Halbpatent, Vorderseite«, sagte ich. »Eine glatt, eine mit Umschlag abheben, oder?«
    Die Joschi nickte, und ich fing zu stricken an. Das war ein bißchen mühsam, weil die Joschi sehr fest gestrickt hatte.
    Die Maschen gingen kaum von der Nadel.
    Aufmerksam verfolgte die Joschi meine Tätigkeit, und ein paar Frauen an den Nachbartischen taten desgleichen. Eine alte Dame stand sogar auf, kam zu mir, beobachtete meine emsigen Finger wie eine geprüfte Handarbeitslehrerin und sagte:
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    »Tadellos, mein Knabe! Dein Anblick erfreut mich!«
    Dann ging sie wieder zu ihrem Platz zurück.
    Als ich drei Reihen gestrickt hatte, nahm mir die Joschi das lausgraue Stück weg, weil ich ihr zu locker strickte. Womit sie recht hatte, denn nachdem die

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