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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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Joschi wieder ein paar Reihen gestrickt hatte, merkte man das deutlich. Wie ein dicker Wulst stachen meine drei Reihen aus Joschis festem harten Gewirk hervor.
    »Das mußt wieder auftrennen, tut mir leid«, sagte ich schuldbewußt.
    Die Joschi legte die Strickerei in den Schoß, fuhr mit einem Zeigefinger den lockeren Maschenwulst entlang und sagte:
    »Keine Spur! Der bleibt. Dann fällst du mir ein, sooft ich den Pullover anziehe!« Dabei lächelte sie mir zu, und mir wurde ganz heiß im Magen, genauso, wie wenn man vom Skifahren ausgefroren in die Skihütte kommt und den ersten Schluck vom Jägertee nimmt.
    »Und nächste Woche, wenn ich beim Vorderteil bin, strickst du mir wieder ein paar Reihen hinein«, sagte die Joschi. »Weil, den Rücken kann ich ja nicht sehen, wenn ich ihn anhabe.«
    Ich sagte der Joschi, daß ich nächste Woche nicht mehr am Vormittag im Muxeneder sein werde, und erzählte ihr vom Lern-Abkommen mit der Mama. Ich fragte sie auch, ob sie denn ewig die Schule schwänzen könne, ob das nicht auf-falle. Die Joschi erklärte mir, sie müsse Schule schwänzen, bis ihr Bruder wieder aus Italien zurück sei. Den brauche sie, damit er eine Entschuldigung mit einer gefälschten Vater-Unterschrift schreibe. Der könne das ausgezeichnet.
    Dann fragte mich die Joschi, in welches Gymnasium ich gehe, und war sehr erstaunt, als sie erfuhr, daß meine Schu-
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    le und meine Wohnung fast am anderen Ende der Stadt sind. Sie wollte wissen, wieso ich dann im Muxeneder sitze. Weil mir zwar nicht mehr ganz jägerteeheiß, aber noch immer sehr warm im Magen war, erzählte ich der Joschi, warum ich regelmäßig zwei mal zwei Stunden in der Bäk-kerei absaß. Alles sagte ich ihr! Einen kompletten Bericht lieferte ich. Sogar vom Ödipuskomplex erzählte ich ihr und davon, daß man nach Ansicht meiner Schwestern davon schwul werden kann. Und daß ich mich schon gefragt habe, ob ich nicht wirklich gefährdet bin, weil mir die Erbswurstsuppe so auf den Nerv fällt und ich Abneigung empfinde, wenn ich sie küssen muß. Eigentlich wollte ich als Abschluß meines Berichts noch sagen, daß ich mir, seit ich sie kenne, keine Sorgen mehr ums Schwulsein mache, aber das brachte ich nicht fertig. Ich wußte nicht, wie ich das in Worte kleiden sollte.
    Als ich zu reden aufgehört hatte, legte die Joschi die Strik-kerei in den Schoß, kratzte sich mit einer Nadel am Kopf und sagte:
    »Angeblich ist jeder Mensch irgendwie bi veranlagt. Da ist nichts Außergewöhnliches dabei. Und jetzt ist das ja nicht einmal mehr verboten, außer mit Minderjährigen!« Sie kicherte. »Minderjährig bist du allerdings!« Ich schaute, glaube ich, ein bißchen gekränkt. Ich fand ihr Gelächter sehr unpassend. Die Joschi merkte das aber nicht. Sie kratzte weiter an ihrer Kopfhaut unter der schwarzen Stoppelfrisur herum und legte dann die Kratznadel auf die Strickerei.
    »Übrigens«, sagte sie, »wie der Johannes heißt, weiß ich.
    Da hättest mich gleich fragen können. Er geht in meine Schule. Müller heißt er. In die sechste geht er. Ein total eingebildeter Schnösel ist er. Riecht nach Parfüm und hat eine
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    Fönfrisur. Und immer edle Klamotten. Armani und Hech-ter. Lacoste ist dem zu minder. Und eine Rolex hat er lok-ker am Handgelenk.«
    Die Joschi war sich auch ganz sicher, daß es im Hause Muxeneder-Müller keinen Mann beziehungsweise Vater gab.
    »Der ist vor Jahren schon weg. Die sind geschieden«, sagte sie. »Ich kann das genau rauskriegen. Eine Freundin von mir hat eine Schwester, die ist einmal mit dem Johannes gegangen!«
    Die Joschi versprach mir, gleich am Nachmittag Erkundi-gungen einzuziehen und mich dann anzurufen. Ich gab ihr meine Telefonnummer. Da es schon dreiviertel zwölf war, steckte die Joschi nicht nur meine Telefonnummer, sondern auch ihr Strickzeug in die Schultasche. »Ich muß Punkt zwölf daheim sein«, sagte sie. »Meine Mutter wartet mit dem Essen. Für den Schulweg gesteht sie mir nur zwölf Minuten zu!«
    Wir riefen nach der Serviererin, aber die hatte viel zu tun.
    So oft sie mit Tassen und Tellern an uns vorbeikam, sagte sie »Komme sofort« oder »Bin gleich bei Ihnen«, doch dann vergaß sie uns wieder und wieselte zu jemand anderem hin. Die Joschi wurde nervös und schaute auf die Uhr.
    Ich sagte: »Renn los! Ich mach das schon!« Die Joschi schnappte ihre Schultasche und stand auf. »Danke schön, das ist lieb«, sagte sie, beugte sich zu mir und gab mir einen Kuß auf die Wange, einen sehr

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