Oliver Hell - Das zweite Kreuz
liegt in meinem Dienstwagen“, sagte er.
Schweigen. Hell hörte jemanden gedämpft sprechen, wurde ungeduldig.
„ Heut noch!“
„ Brüser Berg. Weimarer Straße“, war die knappe Antwort des SEK-Leiters.
Kurz drauf war die Unterhaltung beendet.
„ Brüser Berg, Weimarer Straße. Ratet mal, wer dort wohnt?“, fragte Hell in die Runde.
*
Wendt starrte auf sein GPS-Gerät. Der schnellste Weg war über die Reuterstraße. Von dort aus auf die Autobahn und an der Ausfahrt Bonn-Hardtberg wieder herunter. Wendt gab hinter der Reuterbrücke Vollgas. Bis auf einige Nachtschwärmer waren die Straßen gottseidank beinahe leer.
Das Handy brummte. Diesmal auf dem Beifahrersitz. Er blickte kurz drauf.
‚ Hell‘ stand im Display.
Wendt überlegte. Er griff neben sich, nahm das Gespräch an.
„ Ja Chef!“
„ Wo bist Du?“, fragte Hell knapp. Er hatte mit sich eine Wette laufen. Wendt würde nicht auf dem Weg ins Präsidium sein, hatte er gewettet.
„ Reuterstraße“, kam als knappe Antwort.
Hell kapierte sofort. Wendt hätte auf die Autobahn fahren können und dann am Verteilerkreis Nord abfahren können. Der normale Weg ins Präsidium wäre ein anderer gewesen.
„ Wohin fährst Du?“
„ Ich habe die Koordinaten eingegeben.“
„ Die Akkus am Gerät sind doch leer!“
„ Bei mir hat es aber funktioniert“, sagte Wendt und schaute vorsichtshalber noch einmal auf das Display. Das Gerät arbeitete.
„ Ich kann es ja eh nicht verhindern. Wir treffen uns dort. Keine Alleingänge! Nicht wieder!“ sagte Hell mit eindringlichem Ton.
„ Schon klar“, sagte Wendt.
Er legte das Handy auf den Sitz und klemmte beide Hände ans Lenkrad. Er lenkte scharf rechts ein, kurbelte sich durch die enge Rechtskurve der Auffahrt Poppelsdorf und gab auf dem Beschleunigungsstreifen der A 565 Vollgas. Die Sirene hallte durch die Nacht.
*
Im Telekom-Dome auf dem Brüser Berg hatten am Abend die Telekom-Baskets ein Heimspiel gehabt. Der Basketball-Club der ehemaligen Hauptstadt spielte in der Ersten Bundesliga, der BBL. Der Abreiseverkehr ließ langsam etwas nach. Die Fans waren sehr laut, was auf einen Sieg der Mannschaft schließen ließ.
Jakob Livré stand an der geöffneten Terrassentüre und horchte in die Samstagnacht. Gerade eben fuhr wieder ein Auto mit grölenden Fans über den Brüser Damm, keine zwanzig Meter neben seinem Haus.
Er schüttelte den Kopf. Immer diese Idioten, dachte er. Den meisten Nachbarn waren diese Heimspiele ein Graus. Doch der Haupt-Sponsor der Mannschaft, der Bonner Telekommunikations-Riese die Telekom, hatte eine zu große Lobby.
Daher hatte er auch vorzeitig seinen Plan verworfen, eine Bürgerinitiative gegen den Standort des Telekom-Domes zu initiieren. Gegen die Telekom kam er als einfacher Universitätsprofessor nicht an.
Das musste er sich eingestehen. An seiner Fakultät hatte er das Sagen. Hier war er nur ein Privatmann, der sich gegen einen Weltkonzern wie eine Maus einem Elefanten gegenüber fühlte.
Er nahm die Türe mit der linken Hand und wollte sie schließen, als er im Augenwinkel etwas wahrnahm. Im Garten bewegte sich etwas. In der Bewegung hielt er inne, öffnete die Türe erneut und trat auf die Terrasse hinaus.
Ist das wieder einer dieser Fans, die ihren Weg abkürzen wollen? Regelmäßig trampelten diese Idioten quer durch seinen Garten auf dem Weg in die Siedlung. Oder ein Besoffener, der seinen Garten als Urinal benutzte?
„ Hallo? Ist da wer?“, rief er ärgerlich in die Dunkelheit. Er ging einige Schritte bis an den Rand der Terrasse, dort wo ein Blumenbeet anfing.
„ Hallo? Weg aus meinem Garten. Ich hole die Polizei!“, drohte er in die Nacht hinein.
Dann ging alles sehr schnell. Viel zu schnell für einen über Sechzigjährigen. Eine Gestalt rannte auf ihn zu, sprang über das Beet, schlug ihm noch im Sprung mit einem Gegenstand mit voller Wucht vor den Kopf.
Sofort verlor Jakob Livré die Besinnung und sackte rückwärts auf die Fliesen. Auf seiner Stirn klaffte eine hässliche Platzwunde.
„ Ich bin es, Professorchen“, sagte Ingo Adelberg leise, beinahe zärtlich und zog den Mann bei den Füßen ins Wohnzimmer. Die vermeintliche Zärtlichkeit in seinem Ton passte nicht zu den groben Gesten, mit denen er den Professor auf einen Sessel wuchtete. Leise schloss sich die Türe hinter ihm, das Licht erlosch.
Mit der flachen Hand schlug er Jakob Livré rechts und links ins Gesicht. Der Kopf zuckte hin und her. Der Mann blieb
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