Oliver Hell - Das zweite Kreuz
besinnungslos.
„ Du wirst mir doch nicht abnibbeln, Professorchen“, sagte Adelberg und schaute sich den Mann an, als wäre er ein archäologisches Artefakt, „Ich brauche dich noch, hörst Du!“
Die Uhr über dem Kamin stand auf einundzwanzig Uhr fünfunddreißig. Er suchte sich im Dunkeln den Weg zur Küche, machte Licht und fand in einem Schrank ein großes Wasserglas. Er füllte es und ging ins Wohnzimmer. Einen Meter vor dem Sessel blieb er stehen. Mit einem Schwung schüttete er Livré das Wasser ins Gesicht.
Livré erwachte und schnappte nach Luft. Verwirrt schaute er sich um.
„ Das ist ja nett, Herr Professor, dass Sie mich jetzt doch willkommen heißen wollen. Ich grüße Sie recht herzlich und hoffe, Sie tun dasselbe.“
Livré stöhnte, räusperte sich. Er begann zu sprechen, doch seine Worte endeten in einem Hustenanfall. Er verzog das Gesicht vor Schmerz und fasste sich an die Stirn.
„ Adelberg! Was wollen Sie von mir?“, presste er hervor.
„ Oh, Professorchen. Beleidigen Sie nicht meine Intelligenz. Und vor allem die Ihrige. Sie wissen ganz genau, was ich von ihnen will, oder?“
Livré nahm seine ganze Kraft zusammen.
„ Nein!“
Adelberg faltete die Hände zusammen, als wolle er beten.
„ Herr Professor, das kann ich Ihnen nicht glauben“, sagte er und stützte sich mit dem Arm auf der Lehne des Stuhles ab. In seinen Augen stand der blanke Hass.
Livré wich entsetzt zurück.
„ Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Herr Adelberg.“
Adelberg hockte sich neben den Sessel. Er zog seine Stirn in Falten.
„ Lassen Sie mich mal zusammenfassen, was in den letzten Stunden passiert ist. Ihr Freund Olbrichs ist an einem Kreuz gestorben, ihr Freund Walters sollte …“, er schaute auf die Uhr über dem Kamin, „Nun der sollte mittlerweile auch das Zeitliche gesegnet haben. Sie dürfen drei Mal raten, wer ein sehr heißer Kandidat für den nächsten Todesfall ist!“ Er sog heftig die Luft ein und blies sie mit aufgeblähten Backen wieder aus.
Adelberg klimperte mit den Augenlidern.
„ Na, eine Idee, Professorchen?“
„ Sie lügen“, sagte Livré mit Nachdruck, um Zeit zu gewinnen. Er erinnerte sich an den Besuch der Polizei in seinem Büro. Was hatten die Beamten gesagt? Sie hatten von Entführungen gesprochen. Sie erwähnten Ingo Adelberg.
Wieso hatten diese idiotischen Beamten ihn nicht vor diesem Psychopathen gewarnt?
Er musste Zeit gewinnen.
„ Ich glaube Ihnen nicht, dass Olbrichs und Walters tot sind. Sie sind kein Killer. Sagen Sie mir endlich, was Sie wollen!“
Ingo Adelberg stand auf, griff in seine Jackentasche und zog eine Digitalkamera hervor. Er schaltete sie ein, schob einen Schalter herunter. Sein Blick triumphierte, als er Livré das Foto des gekreuzigten Olbrichs vor die Nase hielt. „Und hier“, sagte er und klickte ein Foto weiter, „Hier ist Herr Walters zu sehen. Man beachte seinen doch arg angeschlagenen Zustand.“
Auf dem Bild war Walters zu sehen, in dem Gestell des Todes hängend. Blutend. Dem Tode näher als dem Leben.
Livré wandte sein Gesicht zur Seite.
„ Sie sind ein Monster, Adelberg!“
„ Monster? Das ist so ein hartes Wort. Ich bin eher jemand, der Rache übt. Und sie wissen, um was es geht. Ihnen sagt doch Rosalie Lindemann bestimmt noch etwas?“
Professor Livré hielt seinen Blick abgewandt. „Ich sage Ihnen nichts.“
Adelberg stand mit einer schnellen Bewegung auf.
„ Gut, dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge. Die Frau ist auch in meiner Gewalt. Und sie hat um ihr Leben gebettelt. Da habe ich ihr Leben verschont.“
Er schaute mit weit geöffneten Augen an die Decke. „Ich habe ihr Leben verschont“, sagte er mit weit ausgetreckten Armen. Blitzschnell fuhr er herum und packte Livré am Kinn.
Angst. Er sah Angst in diesen Augen.
„ Und wissen Sie, was sie mir aus lauter Dankbarkeit gestanden hat? Hmh? Denken sie schnell nach!“ Seine Stimme kippte. Beinahe erstickt und in hoher Tonlage sprach er die letzten Worte aus.
Livré versuchte sich aus dem Griff Adelbergs zu befreien, doch der fasste nur noch fester zu.
Adelbergs Augen hatten etwas Irres an sich.
Livré schwieg. Er ahnte, was jetzt kam. In seiner Situation noch zu pokern schien ihm eigentlich sinnlos, trotzdem tat er es.
Überlebenswille.
Er fing an zu schwitzen. Der Schweiß rann in die Stirnwunde und verstärkte den Schmerz nur noch.
„ Frau Lindemann, oder soll ich lieber sagen, Frau Roslana Wlodarczik?“ Er verzog sein
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