Oliver Hell - Das zweite Kreuz
zu Wendt und Klauk. Die steckten ihre Waffen in die Holster. Klauk pustete kräftig durch. Schon hatte Klauk ein Taschentuch in der Hand und schnäuzte sich kräftig.
„ Das war’s“, sagte er.
„ Ja, das war’s“, wiederholte Wendt, „Ich brauche jetzt eine Dusche und mein Bett.“
„ Das habt ihr beiden genial gelöst. Ich bin stolz auf euch. Euch beide!“
Wendt rang sich ein Lächeln ab.
„ Mir graut vor dem Papierkram.“
„ Eins bleibt noch zu tun“, sagte Hell und ging in den Raum hinein.
Er stellte sich neben den Arzt, der den S-Draht gelöst hatte, den Adelberg so mit den höllenspitzen Zacken verhakt hatte, dass er sich selber hielt. Er legte einen lockeren Verband an, der die Atmung nicht behinderte.
Als er damit fertig war, holte Hell Luft.
„ Herr Jakob Livré, ich nehme Sie unter dem dringenden Verdacht der Anstiftung und Beteiligung zum Mord an Günther Adelberg fest. Ich rate Ihnen, sich einen Anwalt zu suchen“, sagte Hell ohne Mitgefühl und legte ihm Handschellen an.
„ Das werden Sie bereuen, Sie Trottel“, giftete Livré, „Ich bin hier das Opfer, Sie Stümper! Haben sie das nicht kapiert?“
„ Da haben sich andere mit auseinanderzusetzen, nicht wir Stümper und Trottel“, antwortete Hell kühl und schob Livré in die Arme eines SEK-Beamten.
„ Abführen“, ordnete er nur kurz an.
Auf der halben Treppe wurden sie von Lea Rosin empfangen, die gerade Jakob Livré an sich vorbeigehen sah.
„ Na, Jungs. Das habt ihr ja auch ohne mich gut geschafft“, sagte sie lächelnd.
„ Ja, was hast Du denn eigentlich die ganze Zeit über gemacht?“, fragte Klauk.
„ Ich … na, ich habe euch den Rücken freigehalten. Einer muss das doch auch tun, oder?“ Wendt folgte ihrem schelmischen Blick.
„ Stimmt, das ist ganz wichtig. Und was noch viel wichtiger ist, keiner von uns ist verletzt oder auf dem Weg ins Krankenhaus“, sagte Wendt.
„ Ja, ich fahre jetzt ins Präsidium und euch …“, sagte Hell und stoppte mitten im Satz, „Euch will ich frühestens gegen Mittag wieder unter den Augen haben!“
Draußen bereute es Hell das erste Mal, seitdem er aufgehört hatte zu rauchen, keine Zigarette zur Hand zu haben. Er holte das Handy aus der Tasche, schaltete es auf ‚Normal‘ und wählte mit einem befremdlichen Gefühl seine eigene Nummer im Präsidium.
Sofort hob Franziska Leck den Hörer auf.
„ Ja!!“
„ Es ist vorbei“, murmelte Hell.
„ Jemand verletzt?“
„ Nein, alle wohlauf.“
„ Habt ihr ihn?“
„ Wir haben beide, Adelberg und Livré.“
Er hörte so etwas wie ein leises Schluchzen.
„ Weinst Du?“
„ Nein und wenn doch, dann nur vor Freude.“
*
Eine Stunde später kam Wendt zuhause an. Er schloss seine Wohnungstüre auf, warf den Schlüssel und die Reklamepost auf den Garderobenschrank.
Er nahm das Holster ab, legte die Waffe im Wohnzimmer in die oberste Schublade des Schreibtisches, schloss ab.
Er wollte eine Dusche nehmen, setzte sich aber erst im Dunkeln auf sein Sofa. Erst schloss er die Augen. Sofort tauchte wieder die Horrormechanik vor ihm auf. Er hörte den letzten Schrei von Doktor Walters.
Wendt kniff die Augen zu, öffnete sie sofort weit und ging herüber ins Bad. Ohne sich auszuziehen, stellte er sich unter die Dusche.
Im Krankenhaus erwachte zur selben Zeit Rosalie Lindemann aus ihrem Alptraum. Sie hörte noch immer die letzten Klänge von Tschaikowski. Als sie die Augen aufschlug, wusste sie nicht, wo sie war.
Ihr Herz klopfte wild.
Eine Stimme neben ihr sagte in beruhigendem Ton: „Sie sind in Sicherheit, Frau Lindemann. Man hat Sie befreit. Alles ist gut.“
„ Wo bin ich?“
„ Im Krankenhaus. Ruhen Sie sich aus, bitte“, sagte die Krankenschwester.
Alles ist gut.
Nichts ist gut, dachte Rosalie Lindemann. Jetzt bekommst Du doch noch deine Strafe. Nach all den Jahren.
Mit dem schwermütigen Gedanken, warum Adelberg nicht sie umgebracht hatte, schlief sie wieder ein. Sofort war er wieder da. Tschaikowski.
Kapitel 11
Wenn man einen solchen Fall hinter sich hatte, kam einem der Rattenschwanz an Papierkram beinahe wie Urlaub vor. Alles in allem fühlte Hell sich an diesem Morgen entspannt. Selbst wenn er diesen Papierkram hasste wie der Teufel das Weihwasser, so fühlte er sich innerlich gelöst, als er sich gegen Mittag an seinen Schreibtisch setzte.
Niemand war mehr in Gefahr. Adelberg saß in Untersuchungshaft, Livré war für den frühen Nachmittag zum Verhör
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