Oliver Hell - Das zweite Kreuz
denke, er hat eben gelogen. Er weiß es“, sagte sie, „Ich denke, er weiß, wo Ingo ist. Er wollte mir nur nicht die Wahrheit sagen.“
Ihr Bruder strich ihr zärtlich über die Hand. Leise fing sie an zu weinen.
*
Vor Hell stand ein frischer Kaffee. Ihm gegenüber saß Franziska. Auf ihrem Gesicht lag ein zärtlicher Hauch.
„ Livré ist kein leichter Widersacher. Er wird einen hochdotierten Anwalt im Gefolge haben. Er wird schweigen. Das wird kein leichtes Verhör.“
Hell nahm die Kaffeetasse in die Hand, setzte sie wieder ab.
„ Da gehe ich von aus. Aber wir haben Zeit. Morgen werden wir sein Leben auf den Kopf stellen, heute wollen wir nur erst einmal ins Wespennest stoßen.“ Er trank einen großen Schluck Kaffee, bevor er kalt wurde.
Hells Handy klingelte. Es war Klauk. Er berichtete von dem Besuch bei Emilie Walters. Von der Liebesbeziehung und von ihren Ängsten um Ingo Adelberg.
„ Ach, Chef. Das Wichtigste. Sie erzählte, dass Adelberg von Livré entlassen wurde. Hatte er das nicht irgendwie anders dargestellt?“
„ Ja, das hatte er“, antwortete Hell, „Danke dir, Sebastian.“
Klauk benachrichtigte Hell noch darüber, dass er sich jetzt noch im Krankenhaus nach dem Zustand von Rosalie Lindemann erkundigen würde. Der Name Roslana Wlodarczik ging ihm nicht über die Lippen. Hell erging es ähnlich.
Im Gefängnis saßen zwei Männer. Der eine hatte vor über zwanzig Jahren dafür gesorgt, dass der andere nach dieser langen Zeit zu einem Mörder wurde. Noch war nichts klar, aber alles sah danach aus.
Hell hütete sich, Vorverurteilungen auszusprechen. Auch war er dafür bekannt, dass er, auch wenn eine Ermittlung bereits in eine Richtung marschierte, innehielt, um sich auch noch einmal in bereits geschlossenen Pfaden umzutun.
Dafür war er nicht nur bekannt, sondern auch berühmt. Er erinnerte sich an die Worte von Lea Rosin, mit denen sie ihm bei dem Vorstellungsgespräch Honig ums Maul schmieren wollte.
Er musste jetzt darüber lächeln. Rosin hatte sich phantastisch eingelebt. Sie war eine sehr gute Ergänzung des Teams.
Erneut klingelte das Telefon. Zu seiner Überraschung war es nicht Gauernack, der anrief, sondern Brigitta Hansen. Sie gratulierte ihm zum Fahndungserfolg, wollte ihn auch gleichzeitig darüber informieren, dass sie für den Nachmittag eine Pressekonferenz anberaumt hatte. Hell musste ihr seine Teilnahme bestätigen, was er äußerst ungern tat.
Das Gespräch mit Brigitta Hansen endete mit dem für ihn unverständlichen Satz der Oberstaatsanwältin: „Sehr gute Arbeit, Herr Kommissar Hell. Ich werde sie lobend erwähnen.“
Dann hatte sie aufgelegt.
Hell fand es nicht, dass sie gute Arbeit geleistet hatten. Es waren zu viele Menschen zu Schaden gekommen. Sein Riecher hatte ihn verlassen. Das sagte ihm sein Gefühl. Für die Staatsanwältin zählte das Ergebnis. Zwei Männer saßen hinter Gittern. Punkt.
Im Haus von Jakob Livré arbeiteten die Mitarbeiter der KTU fieberhaft. Sie durchsuchten vor allem die Unterlagen des Professors. Hell hatte ihnen die Richtung vorgegeben.
Eine halbe Stunde, bevor er Livré zum Verhör führen würde, klingelte das Telefon. Julian Kirschs Stimme klang hohl und übernächtigt. Das lag daran, dass er nach der Untersuchung im Hause Limperich auch noch direkt in Jakob Livrés Haus fahren musste. Er konnte sich nicht einmal darüber freuen, dass er eine vermeintliche Spur gefunden hatte. Hell machte ihm klar, dass er kurz vor dem Verhörtermin stand. Kirsch versprach ihm, persönlich vorbeizukommen.
Der Anwalt von Jakob Livré stellte sich als Etzard Graf von Hundertmarck vor.
„ Für ihr Protokoll, Hundertmarck mit ‚ck‘ am Ende. Ich lese das so oft falsch, daher erwähne ich es lieber vorab“, sagte er und gab Hell die Hand. Weichlich. Kein starker Händedruck.
Neben ihm saß Wendt, der sich pünktlich um die Mittagszeit im Präsidium einfand. Er sah aus wie ein angeschossener Eber.
„ Ich frage dich nicht, wie deine Nacht war“, scherzte Rosin. Sie erhielt dafür nur ein mitleidiges Grinsen als Antwort.
Livré setzte sich neben seinen Anwalt.
Hinter ihnen hinter der Glasscheibe wartete Klauk auf die Ankunft von Julian Kirsch.
Hell legte die Aktenmappe vor sich akkurat zurecht.
„ Herr Livré, wir müssen ein wenig ausholen. Wie Sie ja wissen, beschuldigt Sie Ingo Adelberg der Anstifter zum Mord an seinem Vater zu sein …“
„ Das entbehrt jeglicher Grundlage“, fuhr ihm der
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