Oliver Hell - Das zweite Kreuz
gewirkt haben. Der Mageninhalt über Stoffe, die kurz vor dem Tod aufgenommen, und oft schon resorbiert wurden. Und der Urin verrät uns, was in einer Zeitspanne bis zu einigen Tagen, natürlich abhängig von der jeweiligen Substanz, vor dem Tod aufgenommen wurde. Durch die Analyse der Proben können wir meist zuverlässig Antwort auf folgende Fragen geben: Hat eine bestimmte Substanz zum Tod geführt? Stand die Person zum Zeitpunkt des Todes unter Einfluss einer zentral wirksamen Substanz?“
Dr. Beisiegel schmunzelte. Sie erinnerte sich noch gut an den Mann und seine Vorlesungen. Wie gerne hatte sie ihm gelauscht.
Die alles entscheidende Frage allerdings war, wie lange sich Toxine nach dem Tod im menschlichen Organismus nachweisen ließen. Auch hier hatte der Professor eine passende Antwort parat.
„ Das hängt ganz entscheidend von der jeweiligen Substanz ab. Kokain und viele Psychopharmaka beispielsweise werden post mortem sehr schnell abgebaut, während sich unter anderem Kohlenmonoxid und Strychnin noch lange nachweisen lassen. Schier endlos nachweisbar in organischer Substanz sind Schwermetalle wie Blei, Quecksilber, Arsen und Thallium, die sich unter anderem in Knochen ablagern.“
Leider erfuhr Stephanie Beisiegel zu spät vom Tod des Professors, sonst hätte sie ihm die letzte Ehre erwiesen.
Ihre behandschuhten Finger lagen auf dem Körper und fuhren über den Stoff. Was war noch übrig, von dem man eine Probe nehmen konnte? Dr. Beisiegel nahm ein Skalpell in die Hand und machte einen kleinen Schnitt in das verblichene Gewebe der Binden. Nur so groß, dass sie eine kleine Probe der Haut nehmen konnte. Der Stoff klaffte auseinander. Sofort wurde der Geruch intensiver. Beisiegel rümpfte die Nase.
Für den DNA-Abgleich würde das ausreichen. Sie legte den kleinen Fetzen Haut, der wie ein Stück Leder wirkte, in ein Reagenzglas und verschloss es. Sie hielt das Glas vor sich hin und schaute sich den Inhalt genau an. Schiefes Grinsen. Wir werden dein Geheimnis schon knacken, dachte sie.
*
„ Ich weiß nicht, was passiert ist.“ Die Worte des Mannes kamen belegt und stoßweise, hervorgepresst zwischen einem Schluchzen.
„ Herr Walters, sind Sie das?“, rief Klauk in die Muschel. Die Köpfe von Wendt und Rosin flogen herum.
„ Meine Schwester … meine Schwester, sie liegt im Sterben“, presste er hervor.
Wendt machte ein hektisches Zeichen. Klauk verstand ihn und schaltete das Telefon auf Lautsprecher.
„ Bleiben Sie bitte ruhig. Was ist passiert? Wo ist ihre Schwester jetzt?“, versuchte Klauk, den aufgelösten Mann zu beruhigen.
„ Sie liegt auf der Intensivstation. Man informierte mich vor ein paar Minuten. Sie gehen davon aus, meine Schwester wurde vergiftet!“
Die Beamten schauten sich vielsagend an.
„ Vergiftet? Wer stellt diese Diagnose?“, fragte Wendt und Klauk wiederholte die Frage.
„ Ich weiß es doch auch nicht. Ich wollte sie nur informieren …“, stieß er hervor, der Rest ging in einem Schluchzen unter.
Klauk hob die freie Hand und machte eine beschwörende Geste.
„ Herr Walters, bleiben Sie ruhig. Nehmen Sie ein Taxi. Bitte fahren Sie in ihrem Zustand nicht selber. Wir treffen uns dann im Krankenhaus. Wo liegt ihre Schwester?“
„ Intensivstation“, sagte Sven-Ferdinand Walters mit erstickter Stimme.
Fünf Minuten später gab Wendt Gas. Er presste die Lippen zusammen, konzentrierte sich darauf, die rote Ampel vor ihnen ohne Schaden zu überqueren. Er ließ die Scheibe herunter und wuchtete das Blaulicht auf das Dach. Rosin saß hinten in ihrem Insignia. Wendt hatte ihr den Schlüssel abgetrotzt.
Dafür ließ sie jetzt ihren Vermutungen freien Lauf. „Sie ist vergiftet worden. Wer kommt denn da in Frage außer unserem unbekannten Entführer? Was glaubt ihr denn, Jungs?“
Sie steckte ihren Kopf zwischen den Vordersitzen hindurch, blickte die Kollegen an, die den Blick aber nicht sahen.
„ Ich glaube nur das, was ich sehe. Vorher vermute ich vielleicht etwas. Und vor allem vermute ich, dass hier etwas nicht stimmt. Mehr nicht.“ Schon konzentriert sich Wendt wieder auf den Verkehr.
„ Wir wissen nicht, ob es der Entführer war. Es gibt keinen Hinweis darauf“, sagte Klauk und schaute Rosin ins Gesicht.
„ Denkt oder vermutet, was ihr wollt, ich bin mir da sicher“, sagte Rosin und ließ sich nach hinten in den Sitz fallen. Auf keinen Fall würde sie sich ihre Gedanken von den beiden Kollegen miesmachen lassen. Warum waren sie sonst zu
Weitere Kostenlose Bücher