Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
in sich.
„ Sie hat die Nummer unserer Dienststelle und auch meine Handynummer.“
„ Wir haben da sehr großes Glück. Doktor Pütz hat einen sehr vollen Terminkalender. Sie ist meist über Monate ausgebucht.“
Klug, weitsichtig, intensiv. So war Carola Pü tz in der Erinnerung von Doktor Beisiegel. Beide kannten sich seit ihrem Studium. Sie hatten sich respektiert, waren keine engen Freundinnen. Pütz hatte nach drei Semestern den Studienort gewechselt. Seitdem hatten sie sich nur noch sporadisch gesehen. Doch jeder hatte den Weg des anderen verfolgt. Und jetzt führten sie diese drei armen Frauen erneut zusammen. Sie freute sich ehrlich auf ihre Kollegin, war der Anlass auch kein Erfreulicher.
Staatsanwalt Gauernack rief noch ganz fö rmlich die SoKo ‚Asien‘ aus der Taufe. Hell war selbstverständlich der Leiter. Sollte es Bedarf geben, so konnte er auch weitere Beamte hinzuziehen. Das läge ganz in seinem Ermessen, bemerkte der Staatsanwalt noch lakonisch. Dann war die Besprechung beendet.
Das Team blieb noch im Besprechungsraum , als Gauernack und Beisiegel den Raum schon verlassen hatten. Sie besprachen eine Todo-Liste. Jeder konzentrierte sich, und nach fünfzehn Minuten war die Liste fertig. Die Aufgaben wurden, so gut es ging gerecht verteilt. Hell war klar, dass ihm dabei der größte Teil selber zufallen würde. Schließlich hatte er die Koordination zu führen. Delegieren war das Schlagwort, doch er war einer aus der alten Schule. Was ich nicht selber erledigen kann, dass mute ich auch keinem aus meinem Team zu. So hielt er es schon lange
Mit all den privaten Gedanken, die ihn mehr als gewollt beschä ftigten, fühlte er sich anfällig und unbehaglich. Dieses immer wiederkehrende Bewusstsein der Ungewissheit für ein Morgen, aber auch die Gewissheit von einem unerfüllt beendeten Leben, all das nagte an ihm. Die Zeit verstrich, mit jedem neuen Tag, der wieder einen Morgen mit sich brachte. Man konnte sich dem nicht entgegen stellen. Alternativen. Bewegen oder Erstarren. Bewegung oder Konservieren. Gelebtes, Gegenwärtiges oder Kommendes. Keiner konnte sich dem entziehen.
Alternativen. Bewegte man sich, so nahm man tatsä chlichen Anteil am Zeitvergehen für ein entstehendes Neues.
Bliebe man aber auch am gelebten Ort seiner inneren Lebensquellen, so wird einem diese Sicherheit immer wieder Kraft fü r ein Unbekanntes, ein ebenfalls Ungewisses geben.
Kapitel 4
Christina Meinhold hielt den Brief in ihren Hä nden und las ihn erneut. Sie konnte nicht glauben, was sie dort schon mehrmals gelesen hatte. Es war ein Brief des Staatsanwaltes. Er forderte sie auf, bei der Verhandlung als Zeugin auszusagen.
Daniel Hesse. Der Daniel Hesse, der im Sommer wochenlang die Schlagzeilen beherrscht hatte, weil er Jagd auf die Zoophilen-Szene in Bonn gemacht hatte. Drei Menschen waren ihm zum Opfer gefallen. Zwei Männer hatte er im Gesicht tätowiert. Beschriftet. Erniedrigt. Was auch immer sie getan hatten, er hatte kein Recht für diese Taten. Selbstjustiz. Rache. Selbst wenn Hesse in einigen Internet-Foren als Held gefeiert worden war. Er blieb ein Mörder. So sah es auch Staatsanwalt Gauernack. Er hatte für Hesse die Höchststrafe wegen Mordes in drei Fällen beantragt.
Lebenslä nglich.
Der Anwalt Hesses hatte versucht, seinen Mandanten als zur Tatzeit unzurechnungsfä hig einstufen zu lassen. Ohne Erfolg. Er hatte zweifelsohne eine posttraumatische Belastungsstörung, doch hielt die ihn nicht davon ab, diese Taten eiskalt zu planen und durchzuführen.
Bei seiner Verhaftung war sie verletzt worden. Es war nicht Hesse gewesen. Nein, es war das letzte Opfer Hesses, was auf Meinhold geschossen hatte, bevor Hesse ihn mit seiner Armbrust eine n Pfeil in den Hals geschossen hatte. Hesse hatte sich nicht um sie gekümmert, er hatte sie für tot gehalten. Jetzt sollte sie vor Gericht aussagen. Vielleicht sogar würde der Verteidiger sie so befragen, dass sie zu seinen Gunsten aussagen musste. Warum sollte sie das tun?
Sie legte den Brief beiseite, hä ngte ihre Jacke auf den Bügel, und ging in ihr Wohnzimmer. Handy. Wendts Nummer. Klingeln.
„ Ich soll in Hesses Prozess aussagen“, sagte sie, als sie die Stimme ihres Kollegen hörte. Sie wartete nicht, bis er seinen üblichen Spruch losgelassen hatte, sondern überfiel ihn direkt mit der Neuigkeit.
„ Was?“
„ Ja, ich habe Post vom Staatsanwalt. Gerade im Briefkasten. Ich soll für ihn aussagen? Wegen dem Kerl habe ich eine Kugel gefangen.
Weitere Kostenlose Bücher