Oliver Twist
Parfüms, Salben und allerhand Waren zu verkaufen, und trug sein Zeug in einem Kasten, den er auf den Rücken geschnallt hatte.
»Was haben Sie denn da Gutes?« fragte grinsend ein Bauer und deutete auf einen Gegenstand in der Ecke des Kastens.
»Das hier ist«, sagte der Mann, »das beste, unschätzbarsteund unfehlbarste Universalfleckmittel gegen Rostflecke, Fettflecke, Schimmelflecke, Schmutzflecke, Tintenflecke, aus Atlas und Seide, aus Leinwand, Kattun und Tuch, aus Musselin und Teppichen und Wolle herauszubringen. Weinflecke, Beerenflecke, Ölflecke, kurz, alle Flecke gehen heraus mit diesem Mittel. Wenn eine Dame einen Fleck auf der Ehr hat, braucht sie nur so ein Ding zu verschlucken, und der Fleck ist weg – es ist nämlich giftig«, setzte der Mann hinzu. »Wenn ein Herr seine Ehre wieder weiß waschen will, braucht er nur den vierten Teil herunterzuschlucken, dann ist seine Ehre ganz wieder hergestellt – eben, weil das Ding giftig ist. Und bloß einen Penny kostet ein Viertelstück, bloß einen Penny.«
Sofort fanden sich zwei Käufer für dieses Fleckmittel, und die anderen schwankten, ob sie nicht auch ihr Geld dafür hergeben sollten. Als der Hausierer es bemerkte, wurde er noch beredter.
»Alles geht damit heraus«, sprudelte er hervor, »Weinflecke, Obstflecke, Beerenflecke, Farbflecke, Schmutzflecke – sogar Blutflecke. Hier zum Beispiel, auf diesem Hut dort an der Wand sehe ich einen Fleck, den ich sogleich entfernen will.«
»Halt«, schrie Sikes und sprang auf. »Her damit, das ist mein Hut.«
»Ich will Ihnen doch bloß einen Fleck herausputzen«, entschuldigte sich der Hausierer und zwinkerte der Gesellschaft zu. »Ehe Sie noch durch die Stube laufen können und sich den Hut holen, ist der Fleck schon draußen. Sehen Sie, meine Herrschaften, hier diesen dunklen Fleck auf dem Hute dieses Herrn. Der Fleck ist nicht größer als ein Schilling, aber dicker als eine halbe Krone. Ob das ein Weinfleck ist oder ein Obstfleck oder ein Schmutzfleck – oder ein Blutfleck –«
Weiter kam der Hausierer nicht, denn Sikes streckte ihn mit einem Hieb zu Boden, entriß ihm den Hut und raste hinaus.
Als er sah, daß er nicht verfolgt wurde, und sich klarlegte, daß ihn die Leute wahrscheinlich nur für einen betrunkenen Raufbold halten würden, wanderte er nach der Stadt zurück. Er wich dem Laternenschein eines Postwagens aus, der auf der Straße hielt, und ging wieder zurück. Er fühlte dumpf, was jetzt kommen würde, aber er kehrte dennoch um, schritt hinüber über die Straße und horchte am Stationsgebäude.
Der Postkutscher stand draußen und wartete auf den Briefbeutel. »Nichts Neues?« fragte der Schaffner. »Hol der Teufel die ganze Post. Noch immer haben wir nicht alles beisammen.«
»Nein, nichts Neues, soweit ich gehört habe«, antwortete der Gefragte und zog seinen Handschuh aus. »Das Getreide ist ein bissel gestiegen, und dann hab’ ich auch – von einem Mord reden hören unten bei Spitalfield, – aber ich glaube, es ist nur so ein Gerede.«
»O nein, die Sache ist wahr«, mischte sich ein Herr, der drinnen im Wagen saß und aus dem Fenster herausblickte, ins Gespräch. »Es ist ein furchtbarer Mord geschehen.«
»Wer ist denn ermordet worden, Sir?« fragte der Schaffner und griff an seinen Hut.
»Eine Frau.«
»Na, wird’s bald«, rief der Beamte, der den Dienst zu überwachen hatte; »na wird’s bald?!«
»Na ja, es wird schon bald«, brummte der Schaffner. »Das sagt das junge Frauenzimmer mit Geld auch immer, die sich in mich verliebt hat – ich erfahr’ bloß nicht: wann. Also, los, hü hott!«
Das Posthorn blies eine lustige Weise, und der Wagen rollte davon.
Sikes blieb auf der Straße stehen. Was er eben gehört, mußte an seinem Ohr offenbar spurlos vorübergegangen sein, denn nichts an ihm verriet Erregung. Noch immer stand er unter dem Bann des Gedankens, wohin er sich wohl wenden solle. Ohne zu wissen, warum, schlug er den Weg ein, der nach St. Albans führte.
Trotzig schritt er dahin. Als er aber weiter in die Dunkelheit und Einsamkeit der Straße geriet, fühlte er immer deutlicher, wie ihn das Entsetzen überschlich und ihm Schauer über Schauer über den Rücken lief. Jeder Gegenstand, der vor ihm auftauchte, nahm das Aussehen von irgend etwas Schrecklichem an. Seine Sinne schärften sich. Er hörte das Rauschen seiner eigenen Kleidung, und jeder Windstoß, der ihn berührte, schien das Echo von Nancys letztem leisen Aufschrei zu ihm zu tragen. Er
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