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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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von draußen«, befahl Mr. Brownlow den beiden Männern, »und kommt erst herein, wenn ich klingele.«
    Die Männer gehorchten.
    »Das ist ja eine recht hübsche Behandlung, Sir«, begann Monks und legte Hut und Mantel ab, als sie allein waren, »– und noch dazu von dem ältesten Freund meines Vaters.«
    »Eben weil ich der älteste Freund Ihres Vaters war, jungerMann«, erwiderte Mr. Brownlow, »und weil einst die schönsten Hoffnungen meiner Jugendzeit mit ihm verknüpft waren und dem holden Wesen, das so frühzeitig von der Erde genommen wurde und mich einsam hier zurückließ – und einst meine Frau hätte werden sollen, und weil mein freudearmes Herz an ihm hing seit jener Zeit und ihm treu blieb bis zum Tode – eben deshalb lasse ich noch immer Milde gegen Sie walten. Ja, ja, Edward Leeford, noch immer lasse ich Milde Ihnen gegenüber walten – Ihnen gegenüber, der Sie erröten müßten, dieses Namens so unwürdig zu sein.«
    »Was hat das alles mit der Sache zu tun?« fragte Monks verstockt.
    »Nichts«, antwortete Mr. Brownlow. »Ich weiß, der Name gilt Ihnen nichts. Aber es war ihr Name, und ich kann nur sagen, es freut mich, daß Sie ihn abgelegt haben – ja, ja, es freut mich.«
    »Das alles klingt wunderschön«, begann Monks wieder nach einer Pause, »aber was wollen Sie von mir?«
    »Sie haben einen Bruder, dessen Name ich Ihnen nur ins Ohr zu flüstern brauchte, als ich auf der Straße hinter Ihnen her kam – und es hatte genügt, daß Sie sich nicht weiter zur Wehr setzten.«
    »Ich habe keinen Bruder«, fuhr Monks auf. »Sie wissen, daß ich der einzige Sohn meines Vaters bin. Sie wissen das so gut wie ich.«
    »Hören Sie jetzt auf das, was ich weiß und was Sie vielleicht noch nicht wissen«, sagte Mr. Brownlow. »Die Angelegenheit wird Sie schon interessieren. Ich weiß, daß Sie der einzige und entartete Sproß jener Ehe sind, die Ihr unglücklicher Vater aus falschem Ehrgeiz, fast als er noch ein Knabe war, geschlossen hat – jawohl, der einzige und entartete Sprößling.«
    »Lassen Sie, bitte, Ihre Injurien beiseite – sie verfehlen ihre Wirkung«, unterbrach ihn Monks höhnisch.
    »Ich weiß ferner«, fuhr der alte Herr unbeirrt fort, »welches Elend und jahrelanges Herzeleid jene schändlich gekuppelte Ehe zur Folge hatte; ich weiß, wie das unglückliche Paar mit Ketten beladen sein Leben dahinschleppte, ich weiß, wie auf kalte Förmlichkeit offener Zwist folgte, und Mißfallen auf Gleichgültigkeit, und Haß auf Mißfallen, und Abscheu auf Haß, bis endlich beide die Ketten zerrissen. Aber am Herzen Ihres Vaters nagte diese unglückliche Ehe noch jahrelang.«
    »Ja, ja, sie ließen sich scheiden«, gab Monks zu, »aber was weiter?«
    »Als sie für eine Zeitlang getrennt lebten«, fuhr Mr. Brownlow fort, »und Ihre Mutter sich dem auf dem Kontinente üblichen lockeren Lebenswandel hingab, während ihr Gatte, der um viele Jahre jünger war als sie, einsam in England lebte, aller Hoffnungen auf eine bessere Zukunft beraubt, da schaffte er sich schließlich einen neuen Freundeskreis. Diese Tatsache kennen Sie doch wenigstens?«
    »Nein«, sagte Monks, »ich kenne sie nicht«, und er stampfte entschlossen auf den Boden, »nein, ich kenne sie nicht.«
    »Ihr Gesicht sagt mir, daß Sie es sehr wohl wissen und mit Bitterkeit des Umstandes gedenken«, versetzte Mr. Brownlow. »Ich spreche von einer Zeit, die jetzt fast fünfzehn Jahre zurückliegt. Sie waren damals nicht älter als fünf Jahre und Ihr Vater erst einundvierzig. Soll ich auf die Ereignisse zurückgreifen, die kurz darauf folgten, oder wollen Sie mir das ersparen und mir selber die Wahrheit enthüllen?«
    »Ich habe nichts zu enthüllen«, versetzte Monks. »Es wird Ihnen nichts andres übrigbleiben, als die Sache selber zur Sprache zu bringen.«
    »Also: diese neuen Freunde«, begann Mr. Brownlow wieder, »waren ein Marineoffizier, der im Ruhestand lebte und dem ein halbes Jahr vorher die Gattin starb. Sie ließ zwei Kinder zurück; beides Mädchen. Die eine neunzehn, die andre damals ein Kind noch von zwei bis drei Jahren.«
    »Wozu erzählen Sie mir das alles?« fragte Monks spöttisch.
    »Sie wohnten in einer Gegend«, erzählte Mr. Brownlow weiter, ohne auf die Unterbrechung zu achten, »wo Ihr Vater schließlich seinen Aufenthalt genommen hatte. Bekanntschaft, näherer Verkehr und Freundschaft folgten einander. Ihr Vater besaß Gaben, wie sie wohl wenigen Menschen beschert sind: er war so gütig, so liebevoll und

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