Oliver Twist
verzweifelten Entschluß, nach London zurückzukehren.
»Dort ist doch wenigstens jemand, mit dem man reden kann, und verstecken kann man sich auch«, sagte er sich. »Wenn sie mich schon auf dem Lande suchen, werden sie mich in der Stadt nicht mehr vermuten. Wenn ich dann aus Fagin einen ordentlichen Batzen Geld herausgepreßt hab’, fahr’ ich nach Frankreich hinüber. Hol’s der Teufel! Ich wag’s!«
Kurz entschlossen schlug er die gerade Richtung nach der Hauptstadt ein.
Da fiel ihm plötzlich sein Hund ein. Hatten dessen Pfoten Blutspuren hinterlassen, so würde man nach ihm suchen, und wenn man ihn fand, konnte das alles verraten. Sikes faßte den Entschluß, das Tier zu ersäufen. Er hob unterwegs einen schweren Stein vom Boden und knüpfte ihn in sein Taschentuch, sich immerwährend nach einem Teich oder dergleichen umsehend.
Der Köter blickte seinem Herrn, als dieser seine Vorkehrungen traf, beständig ins Gesicht. Ob er etwas ahnen mochte oder nicht, jedenfalls blieb er weiter als sonst hinter seinem Herrn zurück und kroch geduckter und langsamer einher, als es bisher geschehen war. Als sein Herr am Rande eines Teiches stehenblieb, blieb auch er stehen und rührte sich nicht.
»Hierher, hierher«, schrie Sikes.
Das Tier kam herangekrochen, denn die Gewohnheit war zu stark, als daß er nicht gehorcht hätte. Als aber Sikes sich bückte, um ihm das Taschentuch um den Hals zu binden, stieß der Hund ein dumpfes Knurren aus und wich zurück.
»Hierher«, schrie der Einbrecher.
Der Hund wedelte, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Sikes knüpfte eine Schlinge und rief das Tier abermals. Der Hund tat ein paar Schritte vorwärts, dann aber machteer plötzlich kehrt und – lief über die Felder hin, so rasch ihn seine Beine tragen wollten.
Sikes pfiff und pfiff und setzte sich und wartete in der Hoffnung, der Hund werde zurückkommen. Aber das Tier ließ sich nicht mehr blicken, und schließlich machte sich Sikes allein wieder auf seinen Weg nach London.
NEUNUNDVIERZIGSTES KAPITEL
Monks und Mr. Brownlow treffen zusammen
Es dunkelte bereits, als Mr. Brownlow mit zwei Männern, die einen dritten hielten und durch das geöffnete Tor drängten, vor seinem Hause einer Droschke entstieg. Schweigend ging Mr. Brownlow voran; widerstrebend folgte ihm Monks, von den beiden handfesten Männern geführt.
An der Türe blieb Monks stehen und schien sich weigern zu wollen, weiterzugehen.
»Entweder – oder«, sagte Brownlow entschlossen. »Wenn er nicht pariert, dann schleppt ihr ihn einfach auf die Straße hinunter, ruft nach der Polizei und klagt ihn in meinem Namen als Verbrecher an.«
»Wie können Sie sich unterstehen –?« fuhr Monks auf.
»Und wie können Sie sich unterstehen, mich zum Äußersten zu drängen«, unterbrach ihn Mr. Brownlow. »Gut, lassen Sie ihn los. So, Sir, jetzt können Sie gehen, wohin Sie wollen, aber ich gebe Ihnen mein Wort, im nächsten Augenblick werden Sie wegen Betrugs und Diebstahls verhaftet sein. Ich bin fest entschlossen – tun Sie, was Sie wollen, Ihr Blut komme auf Ihr eigenes Haupt.«
»Wer hat Ihnen erlaubt, mich auf offener Straße aufgreifen und von diesen Halunken hierher bringen zu lassen!«
»Das habe ich allein zu verantworten«, erwiderte Mr.Brownlow. »Sie können sich ja wegen Freiheitsberaubung beklagen; es hat in Ihrer Gewalt gestanden, sich zu entfernen – während der ganzen Fahrt, aber es erschien Ihnen rätlich, sich still zu verhalten. Wenn Sie die Behörden gegen mich anrufen wollen – tun Sie es, aber seien Sie überzeugt, daß ich dann nicht Gnade für Recht ergehen lassen werde.«
Monks war unschlüssig.
»Besinnen Sie sich rasch«, fuhr Mr. Brownlow gelassen fort. »Wenn Sie wünschen, daß ich meine Anklagen öffentlich vorbringe und Sie der Polizei übergebe, so wissen Sie, was Sie zu tun haben. Wenn Sie dagegen meiner Nachsicht vertrauen und der Milde derer, denen Sie schweres Unrecht zugefügt haben, dann setzen Sie sich hier auf diesen Stuhl. Er ist bereits seit zwei Tagen für Sie vorbereitet.«
Monks murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, zögerte aber noch immer.
»Beeilen Sie sich«, sagte Mr. Brownlow kalt. »Ein Wort von mir, und es gibt für Sie keine Wahl mehr.«
»Gibt es –« fragte Monks mit bebender Stimme, »– gibt es – keinen Mittelweg?«
»Keinen.«
Monks blickte den alten Herrn ängstlich an, dann schritt er in das Zimmer voraus und setzte sich achselzuckend nieder.
»Verriegelt ihr die Türe
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