Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
Aussehen des Kleinen aufzwangen, kaum unterdrücken, trotzdem er wahrhaftig an dergleichen gewöhnt war. »Was soll das heißen?«
    »Ich möchte gern dem armen Oliver Twist einen schönen Gruß von mir hinterlassen«, sagte das Kind, »damit er weiß, wie oft ich an ihn gedacht hab’, daß er so in der finstern Nacht herumwandern muß, ohne daß ihm jemand hilft. Dann möcht ich ihm auch noch sagen«, setzte das Kind leise hinzu und preßte seine kleinen abgemagerten Hände zusammen, »daß ich gern sterbe und froh darüber bin, wenn ich auch noch sehr jung bin. Ich freu mich so sehr, meine kleine Schwester, die auch im Himmel ist, wiederzusehen. Wir werden dann viel, viel glücklicher sein.«
    Mr. Bumble musterte den kleinen Redner von Kopf bis zu Fuß mit unbeschreiblichem Erstaunen, dann wandte er sich an die Pflegefrau und rief: »Es ist doch immer dieselbe Geschichte, Mrs. Mann; dieser gotteslästerliche Oliver hat sie alle miteinander demoralisiert.«
    »Ich hätt’s nicht im Leben geglaubt«, rief Mrs. Mann,erhob entsetzt die Hände und warf dabei einen bösartigen Blick auf Dick. »Da schau einer nur diesen verhärteten kleinen Bösewicht!«
    »Führen Sie ihn hinaus, Madame«, befahl Mr. Bumble gebieterisch, »das muß ordnungsgemäß gemeldet werden, Mrs. Mann.«
    »Ich hoffe, die Herren Vorstände werden doch einsehen, daß ich keine Schuld nicht trage«, sagte Mrs. Mann und setzte ein pathetisches Winseln hinzu.
    »Selbstverständlich, Madame. Sie wissen doch genau, wie die Sachen stehen«, erklärte Mr. Bumble. »Geh hinaus! Geh mir aus den Augen, Bengel!«
    Dick wurde unverzüglich hinausgeführt und in einen Kohlenkeller eingesperrt, und gleich darauf empfahl sich Mr. Bumble, um die Vorbereitungen zu seiner Reise zu treffen.
    Um sechs Uhr am nächsten Morgen vertauschte er seinen Dreispitz gegen einen runden Hut, zwängte sich in einen blauen Rock mit Umschlagkragen und bestieg seinen Platz auf dem Dach des Omnibus, begleitet von zwei Ortsarmen, deren Zugehörigkeit zum Kirchspiel stark bezweifelt worden war, und nicht lange später langte er in London an. Aufs strengste sah er unterwegs darauf, daß keinerlei Widerspenstigkeit passierte. Aber trotzdem konnte er nicht verhindern, daß die beiden Armen störrisch darauf beharrten, immerwährend vor Kälte mit den Zähnen zu klappern und vor Frost zu wimmern, was Mr. Bumble nicht begriff, zumal er in einen sehr warmen Rock gehüllt war.
    In der Hauptstadt angelangt, verfügte sich der Treffliche unverzüglich in das Gasthaus, vor dem der Omnibus ausgespannt wurde, und nahm ein bescheidenes Mahl, bestehend aus Beefsteaks mit Austernsauce und Porter, zu sich. Dann bereitete er sich ein kleines Glas heißen Wassers mitWacholderschnaps, stellte es auf den Kaminsims, rückte sich den Stuhl ans Feuer und ging daran, sich in die Zeitung zu vertiefen.
    Die erste Annonce, auf die sein Blick fiel, war folgende Anzeige:
    »Fünf Guineas Belohnung.
    Am verflossenen Donnerstag hat sich ein Knabe namens Oliver Twist von seiner Wohnung Pentonville verirrt oder ist weggelockt oder verschleppt worden. Oben vermerkte Belohnung fällt demjenigen zu, der Auskunft geben kann, wo und wie besagter Oliver Twist aufzufinden wäre, oder überhaupt irgendwelche Mitteilung zu machen imstande ist, die Licht auf seine frühere Lebensgeschichte werfen kann.«
    Dann folgte eine genaue Beschreibung von Olivers Anzug, Aussehen, Größe und dergleichen. Darunter stand Name und Adresse Mr. Brownlows.
    Mr. Bumble riß die Augen auf, las die Annonce immer wieder und wieder durch und befand sich kaum fünf Minuten später auf dem Wege nach Pentonville.
    »Ist Mr. Brownlow zu Hause?« fragte er atemlos das Dienstmädchen, das die Türe öffnete. Das Mädchen gab eine ausweichende Antwort, aber kaum hatte Mr. Bumble Olivers Namen genannt, als Mrs. Bedwin, die an ihrer Zimmertür gehorcht hatte, atemlos herausstürzte und ihn einlud näherzutreten. Mr. Bumble wurde in die Studierstube geführt, wo Mr. Brownlow mit seinem Freund Mr. Grimwig gerade hinter Weinflaschen und Gläsern saß.
    »Aha, ein Kirchspieldiener, meinen Kopf will ich aufessen, wenn ich mich irre«, war der erste Satz, den Mr. Bumble hörte. Dann nahm er Platz, ein wenig aus der Fassung gebracht durch die seltsame Art und das Benehmen Mr. Grimwigs. Mr. Brownlow stellte die Lampe so, daß er dasGesicht des Besuches genau sehen konnte, faßte ihn fest ins Auge und fragte ungeduldig: »Sie kommen wahrscheinlich infolge der

Weitere Kostenlose Bücher