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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Aber allem Anschein nach schienener, Sikes, der Hund und die Jungen an solche Auftritte ziemlich gewöhnt zu sein.
    »Nur mit Weibern nix zu tun haben«, sagte er und stellte seinen Stock in den Winkel. »Aber geschickt und gescheit sind se doch, es is schwer auskommen ohne ihnen bei unsern Geschäften. Charleyleben, zeig dem Oliver sei Bett.«
    »Seine Feiertagskluft soll er doch morgen wohl nicht anziehen, Fagin?« fragte Charley Bates.
    »Gott sei vor«, rief der Jude grinsend. »Gott sei vor.«
    »Also, zieh das Zeug aus«, befahl Charley Bates. »Gib’s Fagin zum Aufbewahren. Gott, ist das ein Mordsjux!«
    Der arme Oliver gehorchte apathisch. Master Bates rollte den saubern Anzug zusammen, nahm ihn unter den Arm, ging hinaus und ließ Oliver im Finstern allein und schloß dann die Tür hinter sich ab, nachdem er ihm vorher dieselben alten Lumpen gebracht, die Oliver im Arbeitshaus getragen. Der Lärm, den Charley Bates mit seinem ewigen Lachen machte, und die Unterhaltung nebenan – Miß Betsey war nämlich gerade angekommen und begoß ihre Freundin mit Wasser, um sie wieder zu sich zu bringen – hätten wohl fast jeden und selbst in glücklicheren Verhältnissen munter und wach erhalten; aber Oliver war krank und müde und sank bald in tiefen Schlummer.

SIEBZEHNTES KAPITEL
    Zu Olivers Unglück kommt ein großer Mann nach London
     
    In jedem guten Melodrama wechseln auf der Bühne komische und tragische Dinge so regelmäßig miteinander wie die roten und weißen Schichten eines speckdurchwachsenen Schinkens. Solche Wandlungen scheinen absurd, sindaber lange nicht so unnatürlich, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Der Übergang im Leben von Freudenfest zu Totenfest und von Trauerkleid zu Festtagskleid kommt kaum so überraschend; nur sind wir hier passive Zuschauer, dort statt passiven Zuschauern die Darsteller, und das ist der einzige Unterschied.
    Zeitig morgens tauchte Mr. Bumble im Tore des Arbeitshauses auf, schritt über die Schwelle und wandelte mit würdiger Haltung, ehrfurchtsgebietend die Straße hinauf. Er hielt sich erst nicht lange unterwegs auf, um sich mit den Kleinkrämern und andern Leuten, die ihn anredeten, in Gespräche einzulassen, sondern erwiderte ihre ehrfurchtsvollen Begrüßungen mit einer majestätischen Handbewegung und lenkte seine Schritte dem Gartentor zu, hinter dem Mrs. Mann die Armenkinder mit mütterlicher Sorgfalt verpflegte.
    »Der verdammte Kirchspieldiener«, murrte Mrs. Mann, als sie das bekannte Rütteln an der Pforte hörte. »Kaum daß es Tag ist, ist er schon wieder da – ja was wär denn jetzt dös, Mr. Bumble, grad habe ich an Ihnen gedacht. Ja, ist das eine Freud, Ihnen wieder einmal zu sehen. Tretens doch, bitte, näher!«
    Die erste Hälfte ihrer Rede war an Susanne gerichtet, die freudevollen Begrüßungsausrufe aber bekam Mr. Bumble selbst zu hören, während die Treffliche das Gartengitter aufsperrte und ihn unter mannigfachen Hochachtungsbezeigungen in das Haus geleitete.
    »Mrs. Mann«, sagte Mr. Bumble und ließ sich feierlich auf einem Stuhl nieder. »Mrs. Mann, ich entbiete Ihnen einen guten Morgen.«
    »I dank scheen und auch meinerseits einen recht scheenen guten Morgen«, erwiderte Mrs. Mann mit süßem Lächeln. »Und wie steht denn das werte Befinden?«
    »So so, Mrs. Mann«, antwortete der Kirchspieldiener.»Ein Leben als Beamter, Mrs. Mann, ist nicht gerade etwas Verführerisches.«
    »O mei, ja freilich nicht«, klagte die Dame.
    »Ein Leben als Beamter in der Gemeinde, Mrs. Mann«, wiederholte Mr. Bumble und schlug mit dem Stock auf den Tisch, »ist ein Leben voll Mühsal und Plackerei, Verdruß und Entbehrungen; aber halt jeder öffentliche Charakter steht sozusagen am Pranger.«
    Mrs. Mann, die nicht recht verstand, was der Kirchspieldiener eigentlich meinte, richtete den Blick zur Decke und seufzte tief.
    »Ja ja, Sie haben gut seufzen, Mrs. Mann«, sagte der Kirchspieldiener. Da Mrs. Mann daraus erkannte, daß ihre Gesten gestimmt hatten, seufzte sie abermals und augenscheinlich sehr zur Befriedigung des öffentlichen Charakters, der ein wohlgefälliges Lächeln rasch unterdrückte, einen Blick auf seinen Dreispitz warf und anhob:
    »Mrs. Mann, ich stehe gerade im Begriff nach London zu fahren.«
    »Ja, was wär denn jetzt dös?« rief Mrs. Mann erschreckt.
    »Ja ja nach London, Madame«, bekräftigte unerschüttert der Kirchspieldiener, »per Wagen. Ich und zwei Gemeindearme, Mrs. Mann. Es ist ein Rechtsverfahren im Zug

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