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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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hängen«, erklärte er. »Schau nur mal, was er für ’n dummes Gesicht macht, Jack. So ne Jungfer hab’ ich noch in meinem ganzen Leben nicht gesehen; es wird noch mein Tod sein.« Dabei schüttelte sich Master Charley Bates vor Lachen, bis ihm Tränen in den Augen standen.
    »Du hast eine schlechte Erziehung genossen«, bemerkte Jack Dawkins mit tiefem Ernst, »aber Fagin wird schon noch was aus dir machen. Hat schon ganz andere erzogen. Fang nur schon endlich mal an; je früher, je besser, du verlierst nur deine Zeit, Oliver.«
    Master Charley unterstützte seinen Rat durch eine ganze Reihe moralischer Ermahnungen, dann erging er sich und ebenso Mr. Dawkins in einer glühenden Schilderung der zahllosen Vergnügungen, die ein solches Leben, wie sie es führten, im Gefolge habe. Dabei bedeuteten sie Oliver, er würde bei Fagin sofort in der Gunst steigen, wenn er ihrem Rat folge.
    »Das schreib dir hinter die Ohren, Nolly«, schloß der Baldowerer, als jetzt die Schritte des Juden draußen hörbar wurden, »wenn du schon nicht Riegerlappen stemmst –«
    »Aber er versteht dich doch nicht«, unterbrach Charley. »Also: wenn du keine Taschentücher und Uhren stiehlst«, erklärte der Baldowerer, sich Olivers Fassungskraft anpassend, »dann wird’s eben ein anderer tun, und der hat dann was davon, und du hast nichts.«
    »Nu, das sag’ ich doch«, rief der Jude, der inzwischen unbemerkt von Oliver eingetreten war, »daß de das nicht einsehn willst, Kleiner! Glaub mir, der Baldowerer hatrecht, der hat den Katechismus vom Geschäft heraußen.«
    Vergnügt rieb sich der Alte die Hände, nickte mit dem Kopf und kicherte vor Entzücken. Vorläufig konnte jedoch nicht weiter an der Ausbildung des Zöglings gearbeitet werden, denn Miß Betsey war zusammen mit dem Juden und einem Herrn eingetreten, den Oliver bisher noch nie gesehen hatte. Er wurde von dem Baldowerer als Mr. Tom Chitling angeredet und trat jetzt vollends, nachdem er draußen noch mit der jungen Dame ein paar galante Reden getauscht, ein.
    Mr. Chitling war älter als der Baldowerer, zählte ungefähr achtzehn Jahre, benahm sich jedoch gegen den jungen Herrn so ehrerbietig, daß man sofort erkannte, wie hoch er dessen Talente einschätzte. Er hatte ein Paar beständig zwinkernde Augen und ein konfisziertes Gesicht. Er trug eine Pelzmütze, eine dunkelfarbige Manchesterjacke, schmierige englischlederne Hosen und eine Schürze. An seiner Garderobe vermißte man stark die fürsorgliche Hand der Haushälterin; aber er entschuldigte sich bei den Anwesenden damit, daß seine »Zeit« eben erst vor einer Stunde abgelaufen sei. In Anbetracht des Umstandes, daß er die letzten sechs Wochen die »Uniform« habe tragen müssen, wäre er noch nicht imstande gewesen, seiner Garderobe die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Dann setzte er in hoher sittlicher Entrüstung hinzu, die neue Art, drüben die Kleider auszuräuchern, sei eine Gemeinheit, da dabei Löcher in die Sachen gebrannt würden; aber gegen ein Bezirksgericht gäbe es eben leider keinen Rekurs. Ähnliche Ansichten entwickelte er auch, was die »drüben« übliche Mode des Haarschnittes anbelange. Sie sei geradezu himmelschreiend und ungesetzlich, schloß er und konstatierte, er habe seit zweiundvierzig zum Verrecken öden Tagen nicht einenTropfen trinkbaren Zeugs über die Lippen gebracht und sei so ausgetrocknet wie eine Lehmmulde.
    »Nu, woher glaubst de, Oliverleben, daß der Herr wohl gekommen is?« fragte der Jude grinsend, während die Jungen eine Flasche Schnaps auf den Tisch setzten.
    »Ich – ich – ich weiß es nicht, Sir«, stotterte Oliver.
    »Was ist denn das für einer?« fragte Tom Chitling mit einem verächtlichen Blick auf Oliver.
    »Ein junger Freund von mir, mei Lieber«, erklärte der Jude.
    »Na, dann ist er ja aufgehoben«, brummte der junge Mann mit einem bezeichnenden Blick auf Fagin. »Brauchst nicht lang zu fragen, junger Hund, wo ich herkomme; wirst schon bald den Weg selber finden. Wetten?«
    Über diesen Witz lachten die Jungen laut heraus, dann wechselten sie, nachdem sie noch eine Weile gescherzt, flüsternd ein paar Worte mit Fagin und zogen sich zurück.
    Von diesem Tag an blieb Oliver selten allein und war auf den beständigen Verkehr mit den zwei Jungen angewiesen, die Abend für Abend das alte bekannte Spiel mit Fagin spielten, – ob zu ihrer eigenen Vervollkommnung, oder um Oliver ein Beispiel vor Augen zu führen, konnte nur Mr. Fagin allein beurteilen. Zu anderen

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