Oliver Twist
schwach.
Mrs. Cornay stand auf, um eine zweite Tasse aus dem Schrank zu holen. Als sie sich wieder setzte, begegneten ihre Blicke denen des galanten Kirchspieldieners. Sie erbleichteein wenig und widmete sich nunmehr ausschließlich ihrer Aufgabe, den Tee zuzurichten. Abermals hüstelte Mr. Bumble, diesmal etwas lauter als vorher.
»Süß?« fragte die Armenmutter und griff nach der Zuckerdose.
»Sehr süß, sogar sehr süß, Madame«, säuselte Mr. Bumble. Dabei hingen seine Augen fest an Mrs. Cornay. Und wenn jemals ein Kirchspieldiener eine Dame zärtlich und liebevoll angeblickt hat, so Mr. Bumble in diesem Augenblick.
Schweigend wurde der Tee bereitet. Mr. Bumble breitete sich sein Taschentuch über die Knie und fing an zu essen und zu trinken. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach er seine Beschäftigung mit einem tiefen Seufzer, aber das schien auf seinen Appetit keine abträgliche Wirkung auszuüben. Im Gegenteil, er richtete unter den Röstbroten eine ziemliche Verheerung an.
»Wie ich sehe, haben Sie eine Katze, Madame«, begann er, als sein Blick auf den Kamin fiel, »das lass’ ich mir gefallen.«
»O mein, ich hab die Katzen halt gar a so gern, Mr. Bumble. Und die lieben Viecherln«, erwiderte Mrs. Cornay, »sind so glücklich und so nett und so übermütig, nein wahrhaftig gar so lieb, ganz wie gute Kameraden.«
»Reizendes Tierchen, Madame«, brummte Mr. Bumble beifällig, »und so zahm.«
»Ach ja, ach ja«, flüsterte die Armenmutter schwärmerisch, »und hängen tun sie am Haus, Mr. Bumble, daß es wirklich eine Freud ist.«
»Mrs. Cornay, Madame«, begann Mr. Bumble langsam und spielte mit seinem Teelöffel, »es ist wirklich kein Wunder, daß sich ein jedes Lebewesen, wenn’s auch nur eine Katz is, bei Ihnen im Haus wohl fühlt, Madame.«
»Ach Mr. Bumble«, hauchte Mrs. Cornay.
»Ja ja, warum nicht die Wahrheit sagen, die Wahrheit sagen ist immer gut«, rief Mr. Bumble würdevoll und schwenkte, um den Eindruck seiner Worte zu vertiefen, seinen Teelöffel. »Wenn so eine Katz anders wär, ich würde sie eigenhändig ersäufen.«
»O Sie grausamer Mann«, sagte Mrs. Cornay lebhaft und griff nach der Tasse des Kirchspieldieners, »gar ein so grausamer Mann zu sein.«
»Grausam, Madame?« wiederholte Mr. Bumble. »Grausam?« Dabei ließ er seine Tasse los, drückte den kleinen Finger von Mrs. Cornay, als sie ihm die Tasse aus der Hand nahm, seufzte und rückte seinen Stuhl ein bißchen weiter vom Ofen weg.
Es war ein runder Tisch, an dem sie saßen, und zwar einander gegenüber. Und wie Mr. Bumble so vom Ofen wegrückte, fügte es sich naturgemäß, daß er näher bei Mrs. Cornay zu sitzen kam, denn es war wenig Raum im Zimmer. Nach und nach verringerte sich der Zwischenraum zwischen ihm und der Gnädigen immer mehr, und schließlich stießen die beiden Stühle fast aneinander. Dann erst machte Mr. Bumble halt.
»Grausam, sagen Sie, Mrs. Cornay?« fing er wieder an, rührte seinen Tee um und blickte der Armenmutter voll ins Gesicht. »Sind Sie denn nicht auch grausam, Mrs. Cornay?«
»O Gott o Gott«, rief die Gnädige, »was für eine wunderliche Frag für einen ledigen Herrn. Was kann das für Sie für einen Wert haben, Mr. Bumble, ob ich grausam bin oder net?«
Der Kirchspieldiener trank seinen Tee bis auf die Neige aus, verzehrte noch schnell eine Röstschnitte, schüttelte sich die Krumen von den Knien, wischte sich die Lippen ab und gab der Matrone mit großer Würde einen Kuß.
»Aber, Mr. Bumble!« zierte sich die Gnädige im Flüsterton, – denn der Schrecken hatte ihr ganz und gar die Stimme verschlagen. »Ach, Mr. Bumble, ich schrei.«
Mr. Bumble erwiderte nichts weiter darauf, sondern legte nur langsam und würdevoll seinen Arm um die Hüften Mrs. Cornays.
Da die Gnädige versprochen hatte zu schreien, würde sie es wahrscheinlich auch getan haben, wenn nicht ein heftiges Klopfen an der Türe sie daran verhindert hätte. Sofort, als das Geräusch ertönte, sprang Mr. Bumble mit außerordentlicher Behendigkeit auf und machte sich über die Weinflaschen her, um sie abzustauben, während die Armenmutter mit gellender Stimme fragte, wer denn draußen sei.
»Mit Verlaub, Frau Verwalterin«, sagte eine arme runzlige Armenhäuslerin von grauenhafter Häßlichkeit und schob sich langsam zur Türe herein, »mit der alten Sally geht’s zu End.«
»Was geht denn das mich an«, sagte die Armenmutter spitzig. »Glauben Sie, ich kann sie am Leben erhalten?«
»Nein, nein, Frau
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