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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Viertel Laib Brot und ein vollgemessenes Pfund Käse hergeben müssen. Und was glauben S’, dankbar ist der Mensch? Nicht so viel, wie ein Dreier wert is. Gleich darauf bettelt er wieder um Kohlen ›und wenn’s nur so viel wär wie ein Schnupftuch voll‹. Kohlen! Was braucht denn der Kohlen?! Will er sich vielleicht den Käs rösten und dann noch mehr haben? Ja ja, so ist dieses Gesindel, Madame. Heut gibt man ihnen eine Schürze voll Kohlen, und übermorgen kommen sie schon wieder um eine zweite. So sicher wie Amen in der Predigt.«
    Die Gnädige gab ihre Zustimmung zu dieser Klage mit einem verständnisinnigen Nicken, und der Kirchspieldiener fuhr fort:
    »So was von Arbeit, wie man’s jetzt hat, ist noch nicht dagewesen. Kommt da vorgestern ein Kerl – Sie sind doch verheiratet g’wesen, Mrs. Cornay, und Ihnen gegenüber braucht man sich kein Blatt vor den Mund nehmen – also: vorgestern kommt ein Kerl mit a paar Lumpen auf dem Leib« – züchtig schlug Mrs. Cornay die Augen nieder – »klopft an die Tür von unserm Herrn Inspektor – grad wie er Gesellschaft bei sich hat – und verlangt, daß man ihm hilft – helfen muß, Mrs. Cornay. Und da er nicht weggehtund sich die Gesellschaft mordsmäßig ärgert, schickt ihm der Herr ein Pfund Kartoffeln raus und eine halbe Kanne Mehl. ›Was soll ich damit?!‹ sagt der undankbare Lümmel. ›Was nutzt mir das! Da könntens mir gerad so gut a paar eiserne Brillen schenken.‹ ›Auch recht‹, sagt der Herr Inspektor und nimmt die Kartoffeln und das Mehl wieder zurück. – ›Na, da werd ich jetzt halt auf der Straßen sterben‹, brummt der Strolch. ›Das werden Sie sich wahrscheinlich überlegen‹, sagte der Inspektor.«
    »Ha ha, sehr gut, der Mr. Grannet, ich seh ihn vor mir bei den Worten«, fiel ihm Mrs. Cornay in die Rede. »Nun und weiter, Mr. Bumble?«
    »Nun und weiter«, fuhr der Kirchspieldiener fort, »fortgegangen ist er und richtig ist er auf der Straße gestorben. Das nenn ich mir doch an eigensinnigen Menschen, wie man ihn sich nicht besser wünschen kann.«
    »Das übersteigt wirklich alles nur mögliche«, bemerkte die Armenmutter mit großem Nachdruck. »Finden Sie nicht überhaupt, Mr. Bumble, daß die Unterstützung außerhalb der Anstalt a ganz a verfehlte Sach is? Sie sind doch a praktischer Mann, Mr. Bumble, also sagen S’, was meinen Sie dazu?«
    »Mrs. Cornay«, wendete der Kirchspieldiener ein und lächelte wie jemand, der sich höchster Einsicht bewußt ist, »Almosen außerm Haus geschickt verteilt, Madame, wohl gemerkt: geschickt verteilt – ist im Grund genommen eine Art Selbstschutz für die Gemeindeverwaltung. Wenn die Armen sehen, daß sie immer was kriegen, was sie nicht brauchen können, dann bekommen sie’s mit der Zeit satt und lassen einen in Ruh.«
    »Ja, was wär denn jetzt dös«, rief Mrs. Cornay, »das ist wahrhaftig a famose Idee.«
    »Jawohl, unter uns gesagt, Madame«, erwiderte Mr.Bumble, »und das ist auch der Grund, weshalb in den impertinenten Zeitungen immer davon die Red ist, daß man arme Kranke mit Kässcheiben unterstützt, was jetzt doch im ganzen Land üblich ist. Aber das sind Dienstgeheimnisse, von denen man schweigen muß unter Kirchspielbeamten. Und hier sehen Sie, Mrs. Cornay«, setzte Mr. Bumble sein Bündel öffnend hinzu, »da haben wir diesmal einen echten Portwein, den wo die löbliche Gemeindebehörde mir für die Kranken angewiesen hat. Echter frischer Portwein, erst heut vormittag vom Faß abgezogen.«
    Nachdem er die erste Flasche gegen das Licht gehalten und sie beäugt hatte, stellte er sie auf das Sims, legte sein Taschentuch, worin sie eingewickelt war, zusammen, steckte es in die Tasche, nahm seinen Dreispitz in die Hand und schickte sich zum Gehen an.
    »Sie werden einen recht kalten Weg haben, Mr. Bumble«, jammerte die Armenmutter.
    »Ja ja, pfeifen tut’s draußen, Madame«, versetzte Mr. Bumble und schlug seinen Kragen in die Höhe, »daß es einem fast die Ohren abbeißt.«
    Mrs. Cornay blickte ihm, wie er zur Türe ging, forschend nach, und als er zur Vorbereitung seines Gutenachtgrußes hüstelte, fragte sie verschämt, ob er denn nicht ein Täßchen Tee nehmen wolle.
    Sofort klappte Mr. Bumble seinen Rockkragen wieder herunter, legte Hut und Stock ab und rückte sich einen Stuhl an den Tisch. Dann setzte er sich langsam nieder und blickte Mrs. Cornay fragend an. Die Gnädige schlug züchtig die Augen nieder, doch abermals hüstelte Mr. Bumble, und dann lächelte er

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