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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Jungen forttragen! Hierher!«
    Langsam kehrte Toby ein paar Schritte zurück und machte nur einige leise bescheidene Einwendungen.
    »Geschwind jetzt«, befahl Sikes und zog seine Pistole. »Verstanden?!«
    In diesem Augenblick verdoppelte sich der Lärm, und Sikes erkannte, daß die Verfolger bereits über den Feldzaun kletterten.
    »Der Teufel ist los«, sagte Toby. »Laß den Lausbuben liegen und machen wir uns auf die Beine.«
    Sikes ballte die Fäuste, warf über den wie leblos daliegenden Oliver rasch einen Mantelkragen, lief zunächst die Hecke entlang, um die Verfolger auf eine falsche Fährte zu bringen, bog dann im rechten Winkel ab, schwang seine Pistole hoch in der Luft, sprang über den Zaun und war verschwunden.
    Drei Männer, die inzwischen ziemlich nahe gekommen waren, blieben jetzt stehen und berieten sich.
    »Ich rate, das heißt: ich befehle«, sagte der dickste der drei Männer, »wir kehren auf der Stelle um und gehen wieder ins Haus zurück.«
    »Ganz, wie Mr. Giles es für richtig befindet«, sagte der zweite und rief die Hunde zurück.
    »Ich bin natürlich nicht so ungebildet, um zu widersprechen«, nahm der dritte das Wort. »Mr. Giles weiß es am besten.«
    Dabei klapperten ihm die Zähne, offenbar vor Furcht.
    »Sie fürchten sich, wie ich sehe«, sagte Mr. Giles.
    »Nein, durchaus nicht«, widersprach der andere.
    »Doch!« beharrte Giles auf seiner Ansicht.
    »Sie irren sich, Giles«, sagte Mr. Brittles.
    »Das ist eine Lüge, Brittles«, sagte Mr. Giles.
    Der dritte der Leute brachte den Zwist auf höchst philosophische Weise zum Schluß.
    »Ich will Ihnen sagen, meine Herren, wie sich die Sache verhält«, begann er, »wir fürchten uns nämlich alle drei.«
    »Nun, ich finde nichts Besonderes daran«, sagte der andere; »es ist ganz natürlich und ganz in Ordnung, daß wir uns unter diesen Umständen – fürchten. Ich – bin wenigstens ziemlich besorgt.«
    »Ich auch«, gab Mr. Brittles zu. »Nur braucht man das einem Menschen nicht so direkt ins Gesicht zu sagen.«
    Dieses offene Geständnis besänftigte Mr. Giles, der daraufhin sofort seinerseits einräumte, auch er empfinde einigermaßen Furcht, worauf denn alle drei, vollkommen einmütig, sich anschickten, in ihr Haus zurückzukehren. Ein paar Schritte weiter machte Mr. Giles, der an Asthma litt und eine große Heugabel trug, den Antrag, ein wenig stehenzubleiben.
    »Es ist wirklich geradezu wunderbar, wozu der Mensch fähig ist, wenn sein Blut einmal in Wallung gerät. Ich würde keinen Augenblick vor einem Morde zurückgescheut sein – ganz gewiß nicht, vorausgesetzt, daß einer von den Halunken uns in die Hände gefallen wäre.«
    Die beiden anderen, die sich inzwischen ein wenig beruhigt hatten, ergingen sich in philosophischen Betrachtungen und schüttelten die Köpfe über Mr. Giles’ Ansichten.
    Dieses Gespräch wurde zwischen den beiden Männern gehalten, die die Einbrecher überrumpelt hatten, und einemfahrenden Kesselflicker, der im Vorhause geschlafen und nebst seinen Hunden geweckt worden war, um sich an der Verfolgung der Einbrecher zu beteiligen.
    Mr. Giles diente der alten Dame, der das Haus gehörte, einesteils als Kellermeister, andererseits als Hausverwalter. Mr. Brittles dagegen war so eine Art »Mädchen für alles« und schon von Kindesbeinen an im Dienste der Dame, die ihn angestellt, als er noch ein kleiner Knabe gewesen. Die drei kühnen Männer setzten in geschlossener Schlachtreihe ihren Rückzug fort, wobei sie Courage genug besaßen, die Laterne, die sie an einem Baume niedergestellt hatten, mitzunehmen. Sie waren längst daheim angelangt, die Luft wurde immer kälter, je näher der Morgen heranrückte, und der Nebel kroch über der Erde hin wie eine dicke Rauchwolke; das Gras war naß, und überall standen Pfützen. Immer noch lag Oliver bewegungslos und wie tot in dem Graben, wo ihn Sikes verlassen hatte.
    Der Regen fiel in dichten Strömen und platschte geräuschvoll auf das am Boden liegende Laub nieder. Aber Oliver fühlte es nicht; hilflos, ohne Bewußtsein lag er da. Endlich unterbrach ein leiser Schmerzensruf die ringsum herrschende Stille, und dabei erwachte Oliver. Sein linker, in der Eile mit einem Tuch verbundener Arm hing schwer und gelähmt an ihm nieder, und das Tuch war dick mit Blut getränkt. Oliver war so schwach, daß er sich kaum aufsetzen konnte. Als er sich mühsam aufgerichtet, blickte er sich nach Hilfe um und ächzte vor Schmerzen; dann sank er von Kälte geschüttelt

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