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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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sich diese sodann an die Nase.
    »Pfefferminz«, erklärte Mrs. Cornay mit schwacher Stimme, den Kirchspieldiener mild anlächelnd. »Bitte, kosten Sie einmal. Es ist auch sonst noch ein bißchen was drin.«
    Mr. Bumble kostete die Arznei, schmatzte mit den Lippen, versuchte abermals und stellte die Tasse sodann geleert nieder.
    »Herzerquickend, nicht wahr?« fragte Mrs. Cornay.
    »In der Tat, sehr stärkend, Madame«, bekräftigte der Kirchspieldiener, rückte seinen Stuhl neben den der Gnädigen und fragte besorgt, was sie denn so um ihre Ruhe gebracht habe.
    »O nichts«, hauchte Mrs. Cornay. »Ich bin nur ein empfindsames schwaches Geschöpf.«
    »Schwach, Madame?« fragte Mr. Bumble und rückte noch näher. »Sie sind doch nicht ein schwaches Wesen, Mrs. Cornay?«
    »Wir sind alle schwache Geschöpfe«, versicherte Mrs. Cornay.
    »Sehr wahr«, stimmte Mr. Bumble ein.
    Ein paar Minuten schwiegen beide, und nach Verlauf dieser Zeit hatte Mr. Bumble eine neue Situation geschaffen,indem er den linken Arm von der Stuhllehne herabgenommen und ihn zu dem Schürzenband der Gnädigen gelenkt, wo er jetzt mit sanftem Druck ruhte.
    »Wir sind allesamt schwache Geschöpfe«, wiederholte er.
    Mrs. Cornay seufzte.
    »So seufzen Sie doch nicht, Madame!«
    »Ach, ich muß doch.« Mrs. Cornay seufzte abermals.
    »Und wie nett und behaglich dies Zimmer ist, Madame, noch eins dazu, und es wäre eine wunderschöne Wohnung.«
    »Für eine einzelne Person, wie ich, wäre es zu viel«, hauchte die Gnädige.
    »Aber nicht für zwei, Madame«, fiel Mr. Bumble schmachtend ein. »Meinen Sie nicht auch, Mrs. Cornay?«
    Die Armenhausmutter ließ den Kopf sinken, und Mr. Bumble tat desgleichen, um ihr ins Gesicht schauen zu können. Züchtig blickte Mrs. Cornay zu Boden und machte ihre Hand frei, um nach dem Taschentuch zu greifen. Unmerklich senkte sie sie jedoch in die Hand des Kirchspieldieners.
    »Unsre Behörde liefert Ihnen Kohlen, Mrs. Cornay, nicht wahr?« fragte Mr. Bumble und drückte zärtlich ihre Finger.
    »Und freies Licht«, ergänzte Mrs. Cornay, den Druck zärtlich erwidernd.
    »Kohlen, Licht und Wohnung frei«, rekapitulierte Mr. Bumble. »Ach, Mrs. Cornay, was für ein Engel Sie doch sind!« Dieser Gefühlsausbruch war zu viel für die Gnädige. Sie sank dem Kirchspieldiener an die Brust, und dieser drückte einen zärtlichen Kuß – in seiner Erregtheit auf die Nase.
    »Nein, eine so hohe Vollkommenheit in unserm Kirchspiel zu finden«, rief Mr. Bumble verzückt. »Sie wissen doch, Angebetetste, daß Mr. Slout heut abend sich wieder viel schlechter befindet als sonst?«
    »Ja«, lispelte Mrs. Cornay verschämt.
    »Keine acht Tag kann er mehr leben, sagt der Doktor«, fuhr Mr. Bumble fort, »und dann wird sein Posten vakant sein. Ach, Mrs. Cornay, welche Aussichten sich einem da eröffnen, net wahr?«
    Mrs. Cornay schluchzte.
    »Sprechen Sie das kleine Wörtchen«, säuselte Mr. Bumble und beugte sich über die verschämte Gnädige nieder. »Das einzige gewisse Wörtchen, meine angebetete Mrs. Cornay.«
    »Ja–a–a«, hauchte Mrs. Cornay.
    »Und noch eins – nur eins noch: – wann soll es vor sich gehen?«
    Zweimal setzte Mrs. Cornay an, aber jedesmal versagte ihr die Stimme. Endlich nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, schlang ihre Arme um den Hals des Kirchspieldieners und flüsterte ihm ins Ohr, es könne so früh stattfinden, wie es ihm gefiele; er wäre eben ein ganz unwiderstehlicher Mann.
    Nachdem die Dinge auf so zufriedenstellende Art erledigt waren, wurde der Vertrag bei einer zweiten Tasse Pfefferminzmischung feierlich besiegelt, und dabei machte Mrs. Cornay den Kirchspieldiener mit allen Nebenumständen, das Hinscheiden der alten Krankenwärterin betreffend, bekannt.
    »Sehr gut«, murmelte Mr. Bumble, seinen Pfefferminzschnaps schlürfend. »Auf dem Heimweg werd ich bei Sowerberry vorsprechen und alle nötigen Anordnungen treffen. Aber jetzt erzählen Sie, was Sie so erschreckt hat, Madame?«
    »Nichts Besonderes«, sagte die Armenhausmutter ausweichend.
    »Aber es muß doch etwas Besonderes gewesen sein«,drängte Mr. Bumble. »Warum wollen Sie es mir denn nicht sagen?«
    »Ein andermal, – wenn wir erst verheiratet sind, Geliebter.«
    »Wenn wir verheiratet sind? Es wird sich doch nicht einer von dem Armengesindel eine Unverschämtheit gegen Sie erlaubt haben?«
    »Nein nein nein, durchaus nicht«, versicherte die Gnädige.
    »Wenn ich so etwas annehmen müßte«, fuhr der Kirchspieldiener streng fort,

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