Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
und behielt misstrauisch den Käfer im Blick, der versuchte, die Zuckerpackung zu erklimmen.
»Es ist unser letzter Freitag. Sonja backt den Kuchen bei sich, und dann essen wir ihn alle zusammen auf. Danach bringen wir die Umzugskartons in den Friseursalon, morgen lassen wir den Mast herunter und fahren zum Hafen.«
Als ob es etwas nützen würde, alles der Reihe nach aufzuzählen.
»Bleib doch bitte.«
Ich blieb.
Sascha hatte seinen Käfer wiedergefunden und verstärkte die Gefängnismauern. Sonja zog noch einmal kräftig an ihrer Zigarette und sagte: »Na dann.« Sie erhob sich, nahm die Kuchenform und ging zum Gartentor hinaus. Ich stellte die Eieruhr und kuschelte mich an den dicken Bauch meines Vaters.
»Schönes Wetter, was?«
In seinem Bauch hörte ich, wie er leise lachte. Er fuhr mir mit der Hand über mein frisch geschnittenes Haar.
»Das hätten wir nicht gedacht, was, als wir hergezogen sind?«
Sascha baute ein zweites Gefängnis und einen Gang zwischen beiden, damit der Käfer von einer Seite zur anderen laufen konnte.
Vierzig Minuten haben wir, dachte ich. Vierzig letzte Minuten, um hier zu liegen und zu warten, und dann gibt es warmen, dampfenden Kuchen.
»John?«
»Krump?«
»Wenn Menschen sowieso wieder weggehen, warum sollte man sie dann liebhaben?«
Mein Vater sagte nicht »Hä?« oder »Du Witzbold« oder »Was soll das denn schon wieder?«
Er sagte: »Weil das Leben sonst keinen Spaß macht, so ohne Liebe.«
Ich bettete meinen Kopf noch mal richtig auf seinen Bauch.
»Ist dir kalt?«
»Nee, gar nicht.«
»Möchtest du eine Jacke?«
»Nein danke.«
»Ach so.«
»Darf ich?« Es war Sascha, der das fragte, und er fragte es nicht mich, sondern meinen Vater. Ganz leise.
»Komm nur.« Saschas Kopf berührte meinen, sein gegeltes Haar meine kurzen Strähnen. Es kitzelte, aber angenehm. Ich schloss die Augen, und wir blieben aneinandergekuschelt liegen, bis Sonja mit dem Kuchen in den Garten kam.
Jeder probierte ein Stück.
»Der ist sogar ganz gut geworden«, sagten wir.
Zwei Stücke blieben übrig.
Die Abfahrt zum Hafen dauerte länger als erwartet. Den Mast herunterzulassen ging schnell, aber der Anhänger wollte sich nicht von der Stelle rühren. Wir hatten die Steine vor den Rädern weggenommen, doch die Reifen hatten Luft verloren und die Räder drehten sich nicht mehr. Mein Vater musste sich erst eine besondere Pumpe ausleihen und die Reifen wieder aufpumpen.
»So schnell schlägt man Wurzeln«, murmelte er, während er eine Runde ums Boot drehte, um zu überprüfen, ob jetzt alle Reifen in Ordnung waren.
Ich stand an der Stelle, wo vorher unsere Leiter gewesen war, und strich über den Bootsrumpf. »Na los«, flüsterte ich, »weg mit dir. Auf der anderen Seite der Welt ist ja sowieso nur Wasser.« Sascha sah mir von Weitem zu.
Mein Vater setzte sich in den Jeep und gab ordentlich Gas. Mit einem Ruck schoss das Boot vorwärts. »Los geht’s.«
Der Jeep hatte eine Vorderbank, auf der man zu dritt sitzen konnte. Das Segelboot hing immer noch am Rückspiegel. Auf dem Boden lagen Pappbecher, in denen mal Kaffee gewesen war, und der Aschenbecher war voller Zigarettenkippen. Der dünne Schaltknüppel ließ sich nur mit Mühe bewegen. Darauf prangte der Aufkleber eines Jeeps, doch weil so viele schmuddelige Hände ihn bedient hatten, war die Abbildung fast nicht mehr zu erkennen. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, dass der Aufkleber schon damals dort geklebt hatte. Damals fühlte sich jetzt beinahe wie ein anderes Leben an. Ich hätte den Aufkleber gern abgepult, doch die Hand meines Vaters lag auf der Gangschaltung. Also pulte ich stattdessen Schorf von einer Verletzung am Knöchel.
Die Urne mit der Asche meiner Mutter stand auf dem Münztelefon im Friseursalon. Ich hatte sie gleich mitnehmen wollen, damit die Asche in der Nähe des Bootes blieb. Es fühlte sich seltsam an, meine Mutter auf dem Telefon zurückzulassen. Aber es war besser so. Sonst hätten wir die Urne womöglich aufs Armaturenbrett stellen müssen und sie wäre immer wieder heruntergerutscht. Sascha und ich hätten uns immer abwechselnd vorbeugen müssen, um sie zu retten. Und dann natürlich, in der letzten Kurve … Der ganze Jeep voller Asche.
Erklär das mal dem Hafenmeister.
Sascha und ich kicherten bei der Vorstellung.
»Naja, dein Vater ist eben ein starker Raucher«, sagte Sascha. Ich musste lachen, und mein Vater meinte, es sei »ungehörig«, so etwas zu sagen. Auch darüber
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