Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
Garten war ganz kahl. Im Sommer hatte ich da schon mal Kaninchen gesehen. »Oma?«
»Olli?«
»Glaubst du, dass ich danach je wieder jemanden liebhaben kann?«
Meine unkuschelige Oma legte ihre alte Hand auf meine. Ihre Adern waren ziemlich dick, und an den Fingern trug sie zwei große Ringe. Einer von ihnen war mit einem durchsichtigen roten Stein verziert, so groß, dass er bis zum Fingergelenk reichte. Der andere Ring war glatt und aus Gold. Ihre Haut war ganz zart, aber ich traute mich nur selten, sie zu streicheln.
»Natürlich, Olli. So ist das im Leben. Erst gewinnen wir Menschen lieb, und dann gehen sie wieder weg. Und wir treffen neue Menschen. Und gewinnen die lieb.«
»Aber warum gehen die Menschen dann weg?«
Sie zuckte die Schultern.
»Und wohin gehen sie?«
Wir schwiegen.
Mein Vater und ich gingen auch weg. Also stimmte das.
»Aber warum?«, fragte ich noch mal.
»Es gibt keinen Grund, Olivia. Es gibt nur Zeit.«
Das klang so traurig, dass ich sie nichts mehr fragte. Auf der Bank im Garten war es kalt. Drinnen hatte ich meinen Vater rufen hören: »Dann glaubst du mir eben nicht!« Die Antwort meines Opas hatte ich nicht verstanden.
Sonjas Wohnung war ganz weiß und leer. Sie roch gut. Ich blieb stehen, weil ich den Geruch erkennen wollte. Sauber, aber auch ein bisschen nach Gewürzen. Spekulatius und Zimt und ein Hauch Zitrone. »Hier riecht es nach Kuchen.« Ich drehte mich zu Sonja um, die immer noch in der Tür stand.
Sie lächelte.
Auf dem Fußboden lagen breite Holzdielen, und im Wohnzimmer stand ein riesiger Tisch. In einer Ecke lagen Zeitungen und Papierkram, in einer anderen, neben dem Fenster, stand ein Aschenbecher auf einem hohen Fuß. Das Fenster war geöffnet. Es gab auch ein Bücherregal, aber nur wenige Bücher.
Sonja hatte eine offene Küche mit einer Kochinsel in der Mitte, von der aus sie beim Kochen den großen Tisch sehen konnte.
»Außer diesem Zimmer habe ich noch zwei. Eines gehört mir und das andere ist das Reservezimmer.«
Ich verstand, wie sie das meinte. Dass ich da schlafen könnte. Ein eigenes Zimmer. Keine Stinkesocken von meinem Vater mehr. Aber auch, dass mein Vater bei ihr …
»Fühlst du dich denn so einsam?«
Sonja sah mich fragend an.
»Weil du möchtest, dass wir bei dir einziehen.«
Sie lachte, und ich wurde ein bisschen sauer, denn es war eine ernst gemeinte Frage.
»Glaubst du, dass ihr mir Gesellschaft leisten sollt?«
Ich nickte unwirsch.
Sie ging zum Ende des Tisches und zündete sich eine Zigarette an. Dann sah sie zu mir herüber. »Mir geht’s hier gut. Wenn ihr bei mir einzieht, wird es noch besser. Hoffentlich. Aber es muss nicht sein. Nichts muss sein.«
»Ehrlich?«
Sie blies ein bisschen Rauch aus. »Ich fühle mich auch alleine wohl.«
Sie hatte zwar nicht viele Bücher, dafür aber eine schöne Stereoanlage. Mir fiel auf, dass kaum Fotos an der Wand hingen.
»Hast du keine Familie?«
»Möchtest du das Reservezimmer sehen?«
Mein Zimmer.
Ich blickte Sonja an und schüttelte den Kopf. Wieder juckte es mich. »Beim nächsten Mal.«
19
Wir hatten auf dem Gelände hinter der Schule Sport. Ein Vertretungslehrer ließ uns Teams bilden.
Ein Junge sollte das eine Team aussuchen, Milena das andere.
Ich musste endlos lange warten, bis alle anderen schon ausgewählt waren.
»Olivia.« Milena war als Letzte an der Reihe, und ihre Stimme klang eindeutig widerwillig.
Bestimmt war ich rot vor Scham und Wut gleichzeitig.
Zufällig kann ich nämlich ganz gut Fußball spielen.
Ich wurde als Stürmerin eingeteilt und strengte mich so an, als müsste ich das Spiel allein entscheiden. Und so war es auch, mehr oder weniger jedenfalls. Ich hielt Bälle und schoss sie ins gegnerische Tor, oder hätte es zumindest fast getan. Reines Pech, dass ich das Tor knapp verfehlte.
Dennoch schrie jemand: »Kann die da mal aus dem Weg?«
Ich war zwar gerade mitten im Lauf, aber trotzdem hörte ich das, und mein Kopf wurde auf einmal schwer. Und dann gaben meine Beine nach. Ich stürzte ziemlich heftig aufs Knie.
»Auch das noch.« Andere Stimmen, der Boden drehte sich, Unterwassergeräusche.
Die Hand des Vertretungslehrers auf meiner Schulter. »Alles okay?«
Nein, hätte ich am liebsten geschrien, überhaupt nicht. Wir machen sonst nie Gruppenspiele. Und weißt du auch warum? Darum!
»Steht sie wieder auf, oder was?«
Die Stimmen schmerzten in meinen Ohren. Ich wollte zwar aufstehen, doch ich schwamm unter Wasser und wusste
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