Olivia und der australische Millionär
den Schoß der Familie aufgenommen zu werden und ihre momentan so rapide beschnittenen Privilegien wiederzuerlangen.
Seufzend sah Olivia durchs Flugzeugfenster nach unten auf die glitzernde Oberfläche der Timorsee, eines Seitenarms des Indischen Ozeans zwischen Australien und dem Archipel der Sunda-Inseln. Das Wasser war so leuchtend türkis wie die Augen ihrer Zwillingsschwester. Ihre eigenen waren einen Ton dunkler.
Doch bevor ihre Gedanken zu Bella wandern konnten, erschien Darwins Skyline in ihrem Sichtfeld.
Skyline war allerdings geprahlt, denn neben den spektakulären Anblicken von New York, London und anderen Weltstädten wirkte dieser wie eine Kulisse aus einem Somerset-Maugham- Roman. Ein tropischer Außenposten, mehr nicht.
Durch die familieneigene Privatinsel in der Karibik war Olivia durchaus an tropische Temperaturen gewöhnt, aber die schwüle Hitze Darwins, die sie beim Verlassen des Fliegers wie eine feuchte Decke einhüllte, besaß noch einmal eine ganz andere Qualität!
Sie wurde von ihrem Teint her oft genug als die typische englische Rose beschrieben. Wer etwas vom Gärtnern verstand, wusste, wie sehr Rosen extreme Hitze hassten. Trotzdem schickte ihr Vater sie hierher! Und sie hatte sich seiner Entscheidung gebeugt. Aber tat sie das nicht schon ihr Leben lang?
Stets versuchte sie, Oscars hohen Erwartungen zu entsprechen, während Bella, der die Männer reihenweise zu Füßen lagen, sich auf wilden Partys vergnügte.
„Alles harmlose Flirts, die mir das langweilige Dasein versüßen sollen, Darling.“
Obwohl sie nie mit ihrer Zwillingsschwester hätte tauschen wollen, fühlte Olivia sich weniger wie eine englische Rose, sondern eher wie eine ältliche Jungfer, die mitternächtlich Unmengen von Lampenöl verbrannte, um heimlich obskure Literatur zu verschlingen, anstatt sich von echten Männern verführen zu lassen.
Wie war es eigentlich dazu gekommen? Lag es vielleicht an ihrem Vater, der von klein auf zu viel von ihr verlangt hatte? Bella sah ihre Hauptaufgabe darin, sich immer und überall perfekt gestylt zu zeigen, während ihre Outfits viel zu konservativ für eine Frau von gerade mal achtundzwanzig Jahren waren.
Achtundzwanzig! Lieber Himmel, wann wollte sie denn das Thema Familie und Kinder in Angriff nehmen? Die Zeit lief ihr langsam davon. Mit den Heiratsanträgen, die sie bekam, hätte Bella bereits ein ganzes Zimmer tapezieren können.
Sie selbst jedoch konnte nur auf zwei Beziehungen zurückblicken – beide absolute Desaster! Geoffrey und Justin. Sie hatten ihr nur schöne Augen gemacht, um über sie an ihre Schwester heranzukommen. Hätte sie ihnen daraus einen Vorwurf machen können? Bella besaß alles, was ihr fehlte: Sie war sexy, aufregend, wagemutig und abenteuerlustig, hatte keine Angst, viel Haut zu zeigen, während Olivia meist so zugeknöpft wie eine scheue Novizin war.
Was sollte jemand wie sie in Australien anfangen? Olivia wollte nicht hierher. Es war zu heiß und, wenn ihre spärlichen Informationen auch nur annähernd stimmten, viel zu primitiv und unzivilisiert.
Allein Darwin City! City?
Eine Stadt auf einem Felsvorsprung am Rand von Peninsula, an drei Seiten umgeben von türkisblauem Wasser. Zu ihren Füßen lag ein sehr großer Hafen. Es war typisch für Olivia, dass sie alles über ihren Verbannungsort gelesen hatte, was sie in der kurzen Zeit in die Hände bekommen hatte. So wusste sie zum Beispiel, dass die Stadt bereits zweimal zerstört und wieder aufgebaut worden war.
Zuerst während des Zweiten Weltkrieges nach dem massiven Luftangriff der Japaner im Februar 1942, als mehr Bomben über Darwin abgeworfen wurden als über Pearl Harbour. Dann machte eine Naturkatastrophe die Stadt ein zweites Mal dem Erdboden gleich, durch den Zyklon Tracy im Jahr 1974.
Menschen, die zwei derartige Schicksalsschläge überlebt hatten, müssten doch eigentlich ihre Sachen zusammenpacken und sich irgendwo in den Bergen eine neue Heimat suchen. Doch offensichtlich waren die Bewohner von Darwin viel mutiger als sie.
Im Innern des Flughafengebäudes blickte Olivia suchend um sich. Sie hatte McAlpine als genau so einen mutigen Typen in Erinnerung. Einen echten Mann , der vor überschüssiger Energie fast zu bersten schien. Daneben war er natürlich unerträglich arrogant und unterschwellig aggressiv. Doch die Frauen schienen ihn dafür zu lieben.
Nicht, dass er auf seine Weise nicht auch kultiviert war. Er verkörperte ein widersprüchliches und faszinierendes
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