Olivia und der australische Millionär
unzugänglichste von allen Schwestern.
Aber das stimmte nicht! Zumindest zeichnete es kein ganzheitliches Bild von ihr.
Gut, sie war kein Ausbund an Temperament wie Bella und eine eher private Person. Doch in erster Linie entsprang dies demselben Schutzmechanismus wie die virtuos gespielte Heiterkeit und Oberflächlichkeit ihrer Zwillingsschwester. Immerhin hatten sie beide im Alter von erst zwei Jahren ihre Mutter verloren …
„Angesichts Daddys neu erwachten Vatersyndroms bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als unsere Strafexpedition anzutreten!“, lautete Bellas schnippische Devise. „Also, Kopf einziehen und durch.“
„Ich betrachte es lieber als Herausforderung“, behauptete Olivia, „aber, lieber Himmel, Daddy! Doch nicht Australien!“ Ihre Vorstellung von dem fernen Kontinent war die eines verlassenen Fleckchens Erde, nicht weit vom Südpol entfernt. Hatte man nicht unverbesserliche Sträflinge dorthin verschifft? Ob Bella vielleicht doch recht hatte?
„Für dich heißt es Australien, und damit basta!“, entschied Oscar mit ungewohnter Strenge. „Und du wirst jede Arbeit präzise und ohne Protest erledigen, was auch immer man dir zuteilt, verstanden? Schließlich hast du einen klugen Kopf auf den Schultern und bist es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen.“
Vielleicht sollte sie ihn daran erinnern, dass er ihr erst vor Kurzem versichert hatte, wie unverzichtbar sie als Hilfe und Unterstützung für ihn sei. Stattdessen schickte er sie nun zu einem Mann, den sie nur wenige Male getroffen und auf Anhieb nicht hatte ausstehen können.
Obwohl sie sich ihm gegenüber völlig normal verhalten hatte, hatte dieser Clint McAlpine, ein australischer Rinderbaron, die Frechheit besessen, ihr ins Gesicht zu sagen, dass sie dringend einmal einen Dämpfer versetzt bekommen müsste!
„Komm endlich von deinem hohen Turm herunter, Eisprinzessin !“, hatte er sie mit plumper Vertraulichkeit und einem amüsierten Zucken um den gut geschnittenen Mund aufgefordert. „Und misch dich unter die Normalsterblichen. Ich wette, das würde dir gut bekommen.“
Jetzt noch krümmte Olivia sich bei der Erinnerung an diesen schrecklichen Moment. Dass er Multimillionär wie ihr Vater war, gab ihm noch lange nicht das Recht, so mit ihr zu reden. Wahrscheinlich lag es an der Kränkung und der schwelenden Wut, der sie damals keinen Ausdruck hatte verleihen können, dass sein Bild noch immer so lebendig vor ihrem inneren Auge stand.
Irgendwie existierte eine weit hergeholte Verbindung väterlicherseits zwischen den McAlpines und den Balfours, was zur Folge hatte, dass man sich zwangsläufig ab und zu über den Weg lief. Außerdem besuchten die McAlpines London häufiger aus geschäftlichen Gründen und nutzten dann gern die Gelegenheit, Arbeit und Vergnügen zu verbinden.
Vor ein paar Jahren hatte Oscar Balfour einen großen Aktienanteil an der McAlpine Pastoral Company erstanden. Möglicherweise hatte auch das seine Entscheidung beeinflusst, sie ausgerechnet nach Australien zu schicken. Offenbar vertraute er dem Junior ebenso sehr wie zuvor Kyle McAlpine, der inzwischen verstorben war.
Daher war Olivia gerade mal zwei Tage nach dem furchtbaren Skandal auf dem Weg ans Ende der Welt.
Down Under …
1. KAPITEL
Darwin, Hauptstadt des Northern Territory und Tor zu Australien …
Olivia hatte sich noch nie besonders fürs Reisen erwärmen können, obwohl internationales Jet-Setting durchaus zu ihrem privilegierten Lebensstil gehörte. Doch diese Reise war in jedem Fall die bislang aufreibendste Erfahrung.
Zuerst der Flug von London nach Singapur. Der reine Horror! Über vierzehn Stunden Klaustrophobie! Dann hatte sie vergeblich versucht, auf einem Übernachtungsstopp im Raffels neue Kräfte zu tanken. Das Luxushotel versprühte einen ganz besonderen Charme, und sie würde es liebend gern noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt besuchen. Nun ging es weiter nach Darwin – der tropischen Hauptstadt des nördlichen Territoriums –, was noch einmal vier und mehr Stunden Flug bedeutete!
Sie konnte nicht lesen, sie konnte nicht schlafen … und sich nicht mit dem schmerzhaften Entzug des Wohlwollens ihres Vaters abfinden. Doch Olivia wusste, dass es keine Alternative für sie gab, als sich durchzukämpfen. Sie und Bella hatten die Order mit auf den Weg bekommen, nach genau fünf Monaten zurück nach London zu fliegen, um dort am zweiten Oktober an der Geburtstagsfeier ihres Vaters teilzunehmen. Und damit quasi wieder in
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