Oliviane – Der Saphir der Göttin
In diesem Moment wurde ihr die Ausweglosigkeit der Situation, in der sie sich befand, in aller Deutlichkeit bewusst.
»Heilige Anna, ich kann es nicht tun! Ich kann diesen Unmenschen doch nicht heiraten ...«, flüsterte sie hilflos, während ihr die Tränen in die Augen stiegen.
»Du musst es tun. Du hast dein Wort gegeben. Eine Rospordon hält ihr Wort! Deine Ehre ist alles, was du besitzt!«
Es war eine Tatsache, Oliviane konnte es nicht leugnen. In all der Einsamkeit, der Lieblosigkeit und Strenge, die ihr Leben beherrschte, gab es, seit sie denken konnte, nur einen Stern, dem sie bedingungslos folgte: den Stolz darauf, eine Rospordon zu sein. Ihre Mutter hatte dafür gelebt, und ihr Vater war dafür gestorben. Wenn die Tochter diese Ehre verriet, verriet sie auch das Andenken ihrer Eltern. Sie musste ihren Schwur halten. Aber dieser Schwur betraf nicht den Stern von Armor!
»Stellt den Zuber dort in die Ecke und bringt neue Glutbecken, marsch! Und vergesst nicht die Handtücher und das übrige Wasser!«
Oliviane drehte sich verblüfft um und betrachtete die Frau, die ihre Kammer betrat. Es handelte sich um eine dunkel gekleidete, mürrische Dienerin mit tief gefurchten Gesichtszügen, die zwei Knechte mit einem Zuber und eine Schar von Mägden herumkommandierte. Aus den Kannen und Eimern, die sie herbeischleppten, stiegen dampfende Wolken auf. Heißes Wasser! Das Bad! Das Bad, um das sie Maé schon am vergangenen Abend vergeblich gebeten hatte.
»Wo ist Maé?«, fragte sie die Frau.
»Fort!«, nuschelte sie knapp. »Ich bin Ava und soll Eure Magd sein. Der Herr sagt, Ihr wollt Wasser für ein Bad. Der Zuber dort ist bereit. Was Ihr sonst noch braucht, sollt Ihr mir nennen ...«
Man merkte ihr an, dass diese lange Rede sie beinahe überforderte. Oliviane unternahm trotzdem einen zweiten Versuch, sie zum Weitersprechen zu bewegen. »Was ist mit Maé geschehen?«
Die Alte streifte sie mit einem mürrischen Blick. »Der Herr sagt, er prügelt uns die Haut vom Rücken, wenn wir ihren Namen erwähnen. Er will ihn nicht mehr hören.«
Oliviane zuckte zusammen, obwohl es sie nach ihren eigenen Erfahrungen nicht mehr überraschte, dass Furcht und Terror in dieser Burg herrschten. Sie sah stumm zu, wie der Zuber gefüllt wurde und außer Ava alle Knechte und Mägde verschwanden. Die Hände in der Taille verschränkt, blieb die Dienerin neben dem Tisch stehen und machte keinen Versuch, Oliviane dabei zu helfen, die schmutzigen Kleider abzulegen. Sie war ganz auf das wachsende Häufchen Stoff konzentriert, das dabei entstand. Als die junge Frau in den Zuber stieg, packte Ava es schnell und huschte wie eine Diebin aus der Kammer.
Oliviane unterdrückte einen Seufzer. Der Herzog von St. Cado würde auch in diesen armseligen Lumpen nicht finden, wonach er suchte. Was dachte er? Dass sie den Stern von Armor in einen Saum genäht oder in einer heimlichen Tasche verborgen hatte? Sie konnte nur beten, dass er nicht wieder zu seiner grässlichen Peitsche griff, wenn er seine Hoffnung enttäuscht sah.
Sie ließ sich vorsichtig in das dampfende Wasser gleiten. Wenn sie die Fersen bis an die Oberschenkel zog, konnte sie immerhin bis zum Hals in die angenehme, entspannende Wärme des Wassers tauchen. Ein paar Herzschläge lang schloss sie die Augen und ließ die unverhoffte Wohltat in alle Poren dringen.
5. Kapitel
»Wie ich sehe, beginnt Ihr Euch mit Eurer Position anzufreunden!«
Oliviane fuhr erschrocken herum und bedachte den Mann, der in ihrer offenen Kammertür stand, mit einem vernichtenden Blick.
»Könnt Ihr Euch nicht bemerkbar machen, ehe Ihr auf diese Weise in meine Kemenate platzt!«, wies sie ihn scharf zurecht.
»Was erwartet Ihr? Dass ich wie ein Page an Eurer Tür kratze? Ich denke, das Lärmen des Riegels ist Anmeldung genug«, entgegnete der Schwarze Landry.
»Was wollt Ihr?«, erwiderte sie. Sein unverkennbarer Spott reizte sie. »Oder seid Ihr gekommen, um mir eine Botschaft Eures Seigneurs zu überbringen?«
Unter dem prüfenden Blick der schwarzen Augen fühlte sie eine Unsicherheit, die sie zusätzlich verärgerte. Welche Funktion hatte dieser Kerl im Haushalt ihres künftigen Gemahls? War er sein Stellvertreter? Ein Lakai? Ein Waffengefährte? Ein Spion?
Der Schwarze Landry dachte gar nicht daran, sie aufzuklären. Er hätte ja selbst nicht zu begründen vermocht, was ihn dazu trieb, sich um sie zu kümmern. Bis zu diesem Augenblick hatte er sie nicht einmal für besonders verführerisch
Weitere Kostenlose Bücher