Oliviane – Der Saphir der Göttin
heilen begann. Vielleicht würde sie nicht einmal eine Narbe zurückbehalten. Zumindest nicht an dieser Stelle. Die Wunde, die ihrem Stolz beigebracht worden war, ging tiefer. Ob sie sich jemals wieder davon erholen würde?
8. Kapitel
»Verdammt noch mal, warum wehrt Ihr Euch eigentlich nicht?«
»Wehren?« Oliviane murmelte das Wort, als würde sie seinen Sinn nicht richtig verstehen.
»Warum Ihr ihm keinen Widerstand leistet, frage ich Euch!«, wiederholte der Schwarze Landry seinen wütenden Vorwurf. »Warum lasst Ihr Euch wie das Lamm behandeln, das am Dreikönigstag geschlachtet werden soll?«
Er hatte seinen Augen nicht getraut, als sie im Dämmerlicht des sinkenden Silvestertages vor ihm auf den Zinnen von Cado erschienen war.
Die großen braungoldenen Augen, die sich halb verständnislos, halb flehentlich auf ihn hefteten, machten seine Bemühungen um Selbstbeherrschung mit einem Schlag zunichte. Wusste sie nicht, wie es auf einen Mann wirkte, wenn ihre Lippen so anrührend bebten und ungeweinte Tränen die Augen wie Sterne aufleuchten ließen?
»Warum nehmt Ihr alles so geduldig hin?«, warf er Oliviane voller Groll vor.
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet!«
»Wovon schon? Von der Art, wie er Euch behandelt!«, knurrte er.
Oliviane schnappte empört nach Luft. »Was maßt Ihr Euch an?«
»Beruhigt Euch und dämpft Euren Ton«, knurrte Landry. »Aber habt Ihr vergessen, dass Ihr etwas besitzt, das er unbedingt haben will und mit dem Ihr handeln könnt? Er ist hinter dem Kreuz von Ys her, und er wird nicht ruhen, bis es sich komplett in seinem Besitz befindet. Eure Person ist nur die Zugabe. Ihr entsprecht zufälligerweise auch noch seinen ehrgeizigen Anforderungen an eine passende Gemahlin. Wie ist es Euch nur gelungen, den Stern von Armor bisher vor ihm zu verbergen?«
»Was erwartet Ihr?«, flüsterte Oliviane tonlos. »Dass ich Euch verrate, was sonst niemand weiß? Für wie dumm haltet Ihr mich?«
»Für dumm genug, um Euch selbst zu schaden«, entgegnete Landry brüsk. »Warum wollt Ihr unbedingt eine Märtyrerin aus Euch machen? Haben Euch die Nonnen in Sainte Anne den Kopf vernebelt mit frommen Geschichten darüber? Lasst Euch versichert sein: Die Wirklichkeit sieht anders aus!«
Oliviane schluckte und zog den wärmenden Umhang enger um ihren Körper. »Ihr wisst nicht, wovon Ihr redet! Lasst mich gehen.«
»Ich denke nicht daran!« Landry, ohnehin nicht der Gelassenste, packte sie heftig an den Schultern. Immerhin besaß er aber noch so viel Verstand, sie zwischen die Mauern einer breiten Pechnase zu drängen, so dass man ihre Gestalten vom Hof aus nicht sehen konnte. »In sechs Tagen sollt Ihr Frau Herzogin werden! Seid Ihr so betört von der Aussicht auf diesen Titel, dass jede Vorsicht und Vernunft aus Eurem ehrgeizigen kleinen Schädel verschwunden ist? Gebt ihm diesen verdammten Stein, und erkauft Euch damit Eure Freiheit und Eure Unversehrtheit!«
Oliviane schluckte verblüfft und ließ sich von dem flammenden Blick des Mannes noch mehr beeindrucken als von seinem starken Griff. »Meine Freiheit? Ihr seid verrückt, Landry! Mein Großvater hat diese Ehe arrangiert, und ich habe mein Wort gegeben, dass ich ihm keine Schande machen werde!«
»Gütiger Himmel!« Landry verdrehte in wütender Ungeduld die Augen. »Macht Euch nicht lächerlich! Kein Mensch von Verstand kann verlangen, dass ein Fräulein von Rang einen Wahnsinnigen wie St. Cado zum Manne nimmt, schon gar nicht ein Verwandter. Falls Ihr die erste Woche Eurer Ehe überlebt, habt Ihr gute Chancen, bei der Eroberung von Cado von den Truppen Jean de Montforts massakriert zu werden. Gibt es denn keinen Funken von Scharfsinn in Eurem bildschönen Kopf!«
»Aber Ihr habt mich doch selbst in diese Festung gebracht«, erinnerte ihn Oliviane, die nicht verstand, was ihn zu diesem unkontrollierten Ausbruch trieb.
»Ich hatte keine andere Wahl«, entgegnete er kurz angebunden.
»Ich habe sie auch nicht«, wisperte sie traurig. »Ich musste meinem Großvater bei meiner Ehre schwören, dass ich diesen Mann zu meinem Gemahl nehme.«
»Narretei!«, zürnte Landry, packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Seit wann hat der Schwur einer Frau Bedeutung? Haltet Ihr Euch für einen Ritter? Macht Euch nicht lächerlich, kleine Dame!«
Er brachte es fertig, mit drei simplen Sätzen eine solche Erbitterung in ihr zu entfachen, dass sie sich gewaltsam von ihm losriss und mit dem Fuß aufstampfte.
»Man kann natürlich von einem
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