Oliviane – Der Saphir der Göttin
zu vernünftigen Erinnerungen zusammenzufügen, aber es wollte ihr nicht recht gelingen. Da war etwas Dunkles, Grauenvolles, vor dem sie zurückschreckte, weil ihr eine innere Stimme riet, keineswegs daran zu rühren.
»Ihr dürft euch nicht aufregen«, fand Ava zu ihrem üblichen unwirschen Ton zurück, auch wenn die Anrede respektvoller klang. »Ihr habt Eure monatliche Reinigung heftiger als sonst bekommen. Ihr hattet schlimme Krämpfe und ein wenig Fieber, aber das ist jetzt vorbei. Warum habt Ihr mir nicht gesagt, dass Ihr Schmerzen habt? Ich hätte Euch schon früher einen Kräutertrank machen können.«
Oliviane lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes. »Ich wusste es nicht«, murmelte sie matt und hob die Hände, um ihre Schläfen zu massieren.
Die Bewegung weckte einen scharfen Schmerz zwischen ihren Brüsten, und als sie das Hemd zur Seite schob, entdeckte sie genau auf dem Brustbein einen fingerbreiten, blutverschorften Schnitt. Der Anblick brachte mit einem Schlag auch die übrigen Erinnerungen zurück, die an den Fausthieb, die Demütigung, die fremden Hände ...
Ihr panischer Blick flog an Ava vorbei. »Ist ... ist er fort?«, wisperte sie rau.
Die Magd ahnte mit sicherem Gespür, von wem sie sprach. »Der Medicus? Aber natürlich! Ich habe nicht zugelassen, dass er Euch weiter plagt. Männer haben keine Ahnung von Frauenleiden!«
Die energische Behauptung ließ ein bitteres Lächeln um Olivianes blasse Lippen zucken. Sie versuchte sich entschlossen den Bildern zu stellen, die sich ungebeten vor ihre Augen schoben. Ihr künftiger Gemahl hatte sie wie ein Stück Vieh behandelt – wie eine Stute, die von einem erfahrenen Stallmeister auf ihre Gebärfähigkeit hin überprüft werden sollte. Die tiefe Demütigung dieser Untersuchung und der maßlose Ekel vor den Berührungen des fremden schwarzen Mannes ließen sie erneut erschauern.
Sie hatte nicht gewusst, dass Männer solche Dinge taten. Dass sie einer Frau von Anstand und Tugend so etwas antun durften, ohne dass der Himmel sie mit Blitz und Donner strafte. Offensichtlich gab es eine ganze Reihe von Sachen, die sie nicht wusste, obwohl sie sich so klug vorkam.
»Vergesst es«, riet die Dienerin. »Habt Ihr nicht gelernt, die Dinge geschehen zu lassen? Es tut nicht gut, zu rebellieren und zu widersprechen! Man handelt sich nur Ärger damit ein.«
Oliviane kam es vor, als hörte sie Mutter Elissas leise, raschelnde Stimme aus der Vergangenheit zu ihr nach St. Cado klingen. Ihre Auswahl an passenden Ratschlägen hatte ganz ähnlich geklungen. Gehorsam, Demut, Frömmigkeit und Fleiß hatte sie ihr angeraten, und sie, Oliviane, hatte sich wahrhaftig bemüht, diesen strengen Anforderungen zu genügen. Aber wohin hatte sie diese Ergebenheit gebracht? Unter die Herrschaft eines Schurken, der jedes christliche Gesetz mit Füßen trat!
»Legt Euch wieder nieder«, redete Ava ihr gut zu. »Ich werde Euch eine Schale Brühe aus der Küche bringen. Ihr werdet sehen, in ein paar Tagen habt ihr alles vergessen und fühlt Euch wieder wohl ...«
»Aber die Hochzeit ...«, wisperte Oliviane zögernd. »Welchen Tag haben wir heute?«
»Heute feiern wir Christi Geburt!«
Die junge Frau wurde merklich blasser. »Himmel, dann muss ich ja aufstehen!«
Ava drückte sie ohne große Umstände in die Kissen zurück. »Nein! Keine Sorge, das Hochzeitsfest wurde auf den Dreikönigstag verschoben. Das wäre ja noch schöner, wenn man Euch in diesem Zustand vor den Altar zerren würde! Das musste sogar der Herr einsehen!«
Aufschub! Galgenfrist! Ein erleichterter Seufzer hob Olivianes Brust, obwohl sie wusste, dass das Schlimmste im Grunde nur hinausgezögert wurde. Bestürzt registrierte sie die eigene beschämende Feigheit. Wo war der stolze Gleichmut geblieben, den sie sich zu bewahren geschworen hatte? War das Oliviane de Rospordon, dieses zaghafte, mutlose Geschöpf, das sich am liebsten vor der Welt versteckt hätte?
»Wenn Ihr wieder gesund seid, wird Euch alles halb so schlimm vorkommen«, behauptete Ava beherzt. »Es gibt Dinge, die übersteht jede Frau. Ihr werdet da keine Ausnahme sein!«
Sie eilte aus dem Raum, um die versprochene Mahlzeit in der Küche zu besorgen, und Oliviane gönnte sich endlich den Luxus aufzuschluchzen. Mit den Fingerspitzen berührte sie die kleine Stichwunde oberhalb ihres Herzens. Wieso hatte sie sich dem tödlich scharfen Schwert nicht gezielter entgegengeworfen?
Der dunkle Schorf zeigte an, dass die Haut darunter bereits zu
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