Oliviane – Der Saphir der Göttin
Rauschen, das plötzlich viel lauter geworden war. Der Schnee war in Regen übergegangen. Er fiel auf das dichte Weidendach der Hütte, lief an den Steinen herab und verwandelte den Boden in Morast.
»Sobald der Schnee getaut ist und wir keine allzu auffälligen Spuren mehr hinterlassen, werden wir aufbrechen«, hatte der Schwarze Landry verkündet, als sie Näheres über seine Pläne hatte wissen wollen.
Ihre Frage nach dem Wohin hatte er mit jenem spöttischen Lächeln beantwortet, das sie inzwischen immer mehr zur Weißglut brachte. »Lasst Euch einfach überraschen, kleine Dame!«
Die lässige Unverschämtheit, mit der er sie bald als Edeldame, bald als dumme Gans behandelte, brachte sie ebenfalls immer mehr auf. Sie wurde nicht klug aus ihm. Mal benahm er sich wie ein ungehobelter Bauer, dann wieder wählte er seine Worte mit so viel Bedacht wie ein
Seigneur aus bestem Hause. Mal duzte er sie in unverschämter Vertraulichkeit, dann überhäufte er sie mit Höflichkeitsfloskeln, die einer Hofdame angemessen gewesen wären.
Oliviane unterdrückte einen bekümmerten Seufzer. Sie war sich nicht einmal sicher, dass er tatsächlich schlief. Vielleicht tat er nur so und bewachte jeden ihrer Atemzüge. Was erwartete er? Dass sie leise in ihren spärlichen Besitztümern kramte, ihm den Saphir aus dem Kreuz von Ys als Morgengabe präsentierte und sich dann seiner Befehlsgewalt unterwarf?
Sie täuschte sich nicht in ihren Vermutungen. Der Schwarze Landry lag ebenso wach auf seinem Lager wie sie selbst. Mit der Geduld eines Jägers belauerte er die Gestalt auf dem Strohsack. Er spürte förmlich, wie sie grübelte, nach einem Ausweg suchte und angespannt im Dunkeln wartete. Der sanfte Gehorsam, mit dem sie ihm in dieser Kate begegnete, versetzte all seine Sinne in höchste Alarmbereitschaft.
Sein wacher Verstand warnte ihn davor, sie zu unterschätzen. Oliviane de Rospordon gehörte nicht zu jenen Menschen, die in einer ausweglosen Lage aufgaben, noch dazu in einem Moment, in dem sie erfahren hatte, dass sie niemandem mehr verpflichtet war. Warum sollte sie auch aufgeben, wenn sie doch einen der Sterne von Armor besaß?
Sie kamen Landry vor wie ein Spuk, diese Juwelen. Alle Welt sprach von ihnen, alle Welt suchte sie, aber niemand schien sie jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Eine Perle, ein geschliffener Jadestein, ein Saphir, ein Rubin und ein Diamant sollten es sein, welche die Farben seiner Heimat zwischen den Meeren symbolisierten.
Die Hartnäckigkeit, mit der ein Schurke wie Paskal Cocherel für das Kreuz von Ys mordete und brandschatzte, verlieh dem Kleinod eine zusätzliche Aura von Gefahr und Tränen. Wie sollte es ihm nur gelingen, Oliviane de Rospordon davon zu überzeugen, dass sie sich um ihrer eigenen Sicherheit willen von diesem Schatz trennen musste?
Jeder Versuch führte nur dazu, dass sie Verrat witterte und hartnäckiger denn je abstritt, den Stern zu besitzen. Nach dem Fiasko in St. Cado musste sie glauben, dass sie nur mit seiner Hilfe überleben konnte. Welches Argument konnte er vorbringen, dass sie ihm glaubte, ihm, den sie ja für einen Schurken und Mörder hielt?
Ein leiser Aufschrei von der anderen Seite der Feuerstelle ließ ihn auffahren. »Was ist?«
»Entschuldigt ...« Olivianes Stimme bebte vor unterdrückten Gefühlen. »Da war ein Tier ...«
»Zum Donnerwetter!« Landry gab die Hoffnung auf, doch noch Schlaf zu finden. Er stand auf, gähnte ungeniert und reckte sich, bis er mit den Fingerspitzen das Reet berührte. »Was verlangt Ihr von mir? Soll ich das Tierchen mit meinem Schwert erlegen?«
Bei der Vorstellung, wie er mit gezückter Waffe hinter der armen kleinen Maus herjagte, die sie im Grunde mehr amüsiert als erschreckt hatte, musste Oliviane ungewollt kichern.
»Wie angenehm, dass ich zu Eurer Belustigung beitrage«, brummte er griesgrämig.
»Entschuldigt«, wiederholte Oliviane sanft und erhob sich ebenfalls.
Das Feuer in ihrem Rücken warf einen rötlichen Schimmer auf ihre zarte Gestalt, der die verführerischen Rundungen ihres Körpers betonte. In dem Wunsch, diesen Konturen mit den Fingerspitzen nachzufahren, den seidigen Glanz ihrer Haut wieder zu sehen und das Gesicht in ihren schönen, duftenden Haaren zu vergraben, fuhr Landry ein süßer Schauer über den Rücken.
Sie hatte ihr Gewand zum Schlafen ausgezogen und trug nur ein dünnes Nichts, ein weißes Hemd, das Landrys Phantasie keine Grenzen setzte. Ihre offenen, leicht gewellten Haare fielen bis
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