Olympiareife Nummern
ins Schlafzimmer. Ziehe mein T-Shirt aus und mache gerade meinen Hosenstall auf, wobei ich überlege, dass ich vermutlich auch für eine kleine Nummer mit mir selbst zu müde bin, da klingelt's. Also Reißverschluss wieder hochgezogen, zipp! und T-Shirt wieder über 'n Kopf.
„Bitte nur die Post", denke ich bange. Ein frommer Wunsch. Die Post kommt bei uns erst so gegen halb eins. Es ist die ältere Nachbarin von schräg gegenüber. „Frau Melzer! Was ist los?", frage ich und denke erschreckt: „Es ist was passiert."
„Ach, Herr Zeidler! Der Rudi..." Sie sieht total verstört aus, „der ist vor's Auto gelaufen ..." Oh je. Ihr dicker Dackel. Sie und ihr Dackel haben mich vor dem Schlimmsten bewahrt letztes Jahr, als die Skinheads über mich hergefallen waren. Wer weiß, vielleicht hätten die mich echt abgestochen, wenn sie nicht zufällig mit ihrem dicken Dackel vorbeigekommen wäre (oder doch mit Absicht? Sie hatte die fiesen Glatzen doch in meine Richtung gehen sehen!). „Wo ist er?", frage ich
„Er liegt da ... am Straßenrand", sagt sie verzweifelt und ringt die Hände, „ach, Herr Zeidler, was mach ich bloß? Die junge Frau ist auch fix und fertig!"
Arnie lasse ich im Haus, obwohl er wie verrückt zu bellen anfängt. Er kennt doch Frau Melzer und liebt ihren Rudi. Die beiden toben immer voller Begeisterung zusammen rum, wenn wir uns beim Spazierengehen treffen.
Rudi liegt jaulend auf dem Bürgersteig. Ich find's schon mal beruhigend, dass kein Blut zu sehen ist. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm. Eine junge rundliche Frau hockt neben ihm. Ihre Autotür steht auf. Ich höre Babygeschrei von drinnen.
„Mein Kleiner hat Hunger", sagt sie zu Frau Melzer und mir. „Ich komm' gerade vom Kinderarzt ... oh Gott, er lief einfach auf die Straße!"
„Er hat sich losgerissen. Die Susi von Lindstedts ist doch läufig!" Die Boxerdame in unserer Straße. Frau Melzer scheint sich für Rudi zu schämen.
„Ach Rudi", denke ich, „die ist doch echt hässlich und außerdem viel zu hoch für dich!" Wir Männer und unsere Geilheit...!
Boshafterweise sehe ich Siegfried, das Goldkettchen von gestern Nacht, blutend auf der Straße liegen, weil er sabbernd und hechelnd einen knackigen Burschen verfolgt hat und beim Überqueren der Straße den Airbus-Laster mit dem neuen Seitenleitwerk auf der Fahrt von Stade nach Finkenwerder vor schamloser Gier übersehen hat. (Mir ist klar, dass das Goldkettchen in unsere ländliche Gegend nicht so recht passen will. Real wohnt es wahrscheinlich eher in Hamburg St.Georg und ist Besitzer eines heruntergekommenen Sonnenstudios ...) Nach diesem abschweifenden Gedankengang taucht sofort wieder Patricks hübsches Gesicht
vor mir auf. Das Geschrei im Auto wird zunehmend drängender. Die junge Mutter steht auf. „Also, ich muss nun wirklich ..."
„Ja, ja", sage ich, „machen Sie nur ... wir kümmern uns schon ... Wir fahren zum Tierarzt", beschließe ich und drehe mich zu Frau Melzer um, die mich ängstlich ansieht. „Ach, Herr Zeidler ... würden Sie das tun?" „Na klar ... haben Sie 'ne Decke für Rudi, wo wir ihn einpacken können?"
„Natürlich!" Sie richtet sich auf. „Bleiben Sie solange bei ihm?" Kein Problem. Während sie energisch davon marschiert, hat sich die junge Frau auf den Fahrersitz gesetzt und ihren Nachwuchs aus dem Autokindersitz auf dem Beifahrerplatz herausgeschält. Das Kleine schreit mittlerweile mörderisch. Es liegt auf ihrem Schoß und sie fummelt hektisch an ihrer Bluse rum.
„So 'n Mist", flucht sie, „ ich schaff 's nicht mit einer Hand ... können Sie mal halten?" Und ohne meine Antwort abzuwarten - ich hätte schon gern ,nein' gesagt - streckt sie mir das brüllende Etwas entgegen.
Ich weiß gar nicht, wie ich's anfassen soll ... es windet sich und wedelt mit seinen kleinen Fäusten vor meinem Gesicht herum. Dabei schreit es ununterbrochen laut und zeigt mir seinen zahnlosen Mund. Der ist so weit aufgerissen, dass ich das Zäpfchen hinten im Hals flattern sehe. Ein säuerlicher Geruch steigt mir in die Nase. Vermutlich ist die Windel voll. „Ob ich auch so nervig gebrüllt habe?", denke ich plötzlich und meine Achtung vor Franziska steigt augenblicklich.
„Jan hat das auch schon drei Mal erlebt", fällt mir danach ein und das bringt mich nahezu aus der Fassung. „Dreimal zahnloser Mund und Gebrüll ... den Gestank nicht zu vergessen!" „So, jetzt können Sie ihn mir wiedergeben", sagt die Frau und ich sehe, dass sie ihren Busen
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